Witten. . Das Wittener Werk Oberbaustoffe baut jährlich Hunderte Weichen für die Deutsche Bahn. Der Betrieb ist der einzige im Staatskonzern, der das noch kann.
Die Deutschlandfahne hängt leicht angerußt am Aufgang zum Schwerlastkran, bestimmt ein Relikt der Fußball-WM. Eine Lichterkette taucht den kleinen Pausenraum in funzeliges Dunkel. Der Unterstand am Rande der riesigen Halle ist leer. Nur wenige Meter weiter herrscht geschäftiges Treiben im Weichenwerk der Deutschen Bahn in Witten. Offiziell heißt das ja jetzt Werk Oberbaustoffe Witten. Denn hier werden nicht nur Weichen für den Betreiber des größten Schienennetzes Europas gebaut, sondern pro Jahr auch 90.000 Meter Weichenschwellen, 50.000 sogenannte Gleisschwellen und immerhin 4500 spezielle Brücken-Schwellen.
Auch interessant
Die Luft ist erfüllt von dem Geruch warmen Öls. Das Getöse der Apparate, das Schleifen, Hobeln, Fräsen, Schweißen macht die riesige Werkhalle in der Nähe zum Wittener Bahnhof zu einem Konzertsaal der 450 Werktätigen, die hier im Takt der millionenteuren Maschinen im Dreischichtbetrieb ihrer Arbeit nachgehen. Witten ist mittlerweile das einzige bahneigene Werk in Deutschland, das noch Weichen für den riesigen Staatskonzern liefert.
Zwei Drittel des Bedarfskommen von der Ruhr
Zwei Drittel des gesamten Bedarfs kommen von der Ruhr, der Rest wird in der Privatwirtschaft eingekauft – nach den strengen Vorgaben der Konstrukteure, die in Witten Herzstücke, Radlenker und Zungen entwerfen – wie die klassischen Bestandteile einer Weiche eben heißen. Für einige Leser, die ihm Rahmen unserer Serie „Hinterm Werkstor“ die Führung begleiten, ist das kaum Neues: Sie fachsimpeln angeregt mit Bahn-Mitarbeitern. Einige Leser entpuppen sich sogar als ehemalige Mitarbeiter und grüßen alte Kollegen.
Qualität und Langlebigkeit der gebauten Weichen stehen für Werksleiter Hubertus Willeke im Vordergrund: „Unsere Philosophie als Eigenbetrieb ist nicht die Gewinnmaximierung.“ Und doch sei sein Werk den Regeln der Marktwirtschaft unterworfen. „Auch wir müssen uns um Aufträge der Konzernmutter bewerben.“ Witten müsse im Wettbewerb beweisen, „dass wir die günstigsten sind“. Das Werk hat laut Willeke noch einen weiteren Vorteil: „Wir liefern bislang eine Qualität, an die ausländische Konkurrenten nicht herankommen.“
Auch interessant
2500 Weichen werden bei der Bahn jährlich gewechselt und immerhin 2,5 Millionen Schwellen, die meisten von ihnen aus Beton. „100.000“, sagt Hubertus Willeke, „sind noch aus Holz.“ Bevorzugte Sorten sind Buche oder Eiche, wegen ihrer Langlebigkeit. Bis zu 25 Jahre hält eine Schwelle durch. Dann muss sie raus.
142.000 Quadratmeter voller Weichenteile
Auch die Weichen werden regelmäßig überprüft. Spezielle Züge ermitteln per Ultraschall, ob Beschädigungen im Gleis vorhanden sind, die von außen nicht erkennbar sind. Entspricht eine Weiche nicht mehr den gestrengen Mindestanforderungen der Aufsichtsbehörde, muss sie getauscht werden. Meist nicht komplett, sondern in Teilen. So sind etwa die Weichenzungen, also die beweglichen Teile in der Weiche, besonderen Belastungen unterworfen.
„In der Regel wissen wir ein Jahr vorher, wann eine Weiche gewechselt werden muss“, sagt Willeke. Das mache das Ganze deutlich planbarer. Trotzdem muss das Werk in Witten auch für Notfälle gerüstet sein. Auf dem 142.000 Quadratmeter großen Areal lagern genügend Ersatzteile, um auch bei einem Unfall schnell reagieren und Gleise und Weichen ersetzen zu können. Das meiste liegt unter freiem Himmel. Ganz anders die Teile, die für die Hochgeschwindigkeitsstrecken der Bahn benötigt werden: Dafür wurde in den vergangenen Jahre eine eigene riesige Lagerhalle in Witten gebaut, um die Gleise vor Wind und Wetter geschützt einlagern zu können.
20 Millionen Euro für ein neues Dach
Das Werk befindet sich ohnehin in einer Sanierungsphase. Eine neue Instandhaltungshalle soll den Altbau überflüssig machen. Auf dessen Grundstück wird dann ein neues Verwaltungsgebäude entstehen. Und das Dach der 1945 errichteten großen Produktionshalle mit ihrem Maschinenpark bekommt auch gerade eine Frischzellenkur. 20 Millionen Euro kostet das – weil die Sanierung im laufenden Betrieb geschehen muss. „Wir renovieren nach und nach die Fassade“, sagt Willeke. Vor allem Pendlern, die täglich mit der Bahn am Werk vorbeifahren, bleibt das nicht verborgen.
Herzstück 50470381 hat einen klaren Bestimmungsort. Mit großen weißen Buchstaben ist darauf „Hamburg Hbf“ vermerkt. Doch bis das Stück Stahl auf seine Reise an die Elbe gehen kann, muss es noch aufbereitet werden. Millimetergenau wird das Metall zurechtgefräst, gebohrt, geschnitten. Soll vor Ort ja auch alles passen.
Noch immer taucht die Lichterkette den kleinen Pausenraum in funzeliges Dunkel. Ein Weichenbauer hat sich dort niedergelassen, gönnt sich einen schnellen Kaffee. 50470381 muss sich noch ein wenig bis zur Auslieferung gedulden. Kein Problem für das Herz der Weiche, dem auch im hohen Norden ein langes Leben beschieden ist.