Hannover. . Nach dem erbitterten Machtkampf und dem Rücktritt von Aufsichtsratschef Ferdinand Piëch versucht Europas größter Autokonzern Volkswagen wieder Tritt im Alltag zu finden.

Um 9 Uhr beginnt gestern in Hannover eine neue Zeitrechnung für Volkswagen. Eine Stunde vor Beginn der ersten Hauptversammlung ohne Ferdinand Piëch macht sich Vorstandschef Martin Winterkorn auf zu seinem schon traditionellen Rundgang durch die Messehalle. Dort besucht er die Stände der einzelnen Konzernmarken. Er lässt Türen ploppen und schaut in Motorräume. Winterkorn ist der Gewinner der Machtkampfs mit Piëch. Doch wer Gesten des Triumphs erwartet, wird enttäuscht.

Winterkorn tritt wie immer professionell auf, Mitarbeiter tupfen zwischendurch den Schweiß von seiner Stirn und richten seine Krawatte. Er plaudert mit den Markenchefs oder mit seinen Begleitern. Das sind der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) sowie die VW-Aufsichtsratsmitglieder Wolfgang Porsche und Hans Michel Piëch, der Bruder von Ferdinand Piëch.

Würdigung für den VW-Patriarchen

Ferdinand Piëch ist abwesend – und doch allgegenwärtig. Weil sagt, er bedauere die Entwicklung. Piëchs Verdienste um VW seien unbestritten. Es folgen Lobreden auf den im Streit geschiedenen Patriarchen, der Winterkorn das Vertrauen entzogen, dafür aber keine Mehrheit im Aufsichtsrat gefunden hatte. Der kommissarische VW-Aufsichtsratschef und frühere IG-Metall-Vorsitzende Berthold Huber, der die Hauptversammlung leitete, sagte: „Piëch hat sich außerordentliche Verdienste um Volkswagen und die gesamte Automobilindustrie erworben.“ Die Aktionäre applaudierten.

Winterkorn wollte da nicht hintanstehen und wurde sogar persönlich, was ungewöhnlich ist für ihn: „Mir ist es wichtig, an dieser Stelle Herrn Dr. Piëch zu danken – im Namen aller 600 000 Mitarbeiter, aber auch persönlich“, sagt er. Und: „Ferdinand Piëch hat die Automobilindustrie in den vergangenen fünf Jahrzehnten geprägt wie kein Zweiter – als Unternehmer, als Ingenieur, als mutiger Visionär.“

„Schrecklich unprofessioneller“ Machtkampf

Winterkorn lässt aber auch durchblicken, wie anstrengend der Machtkampf mit Piëch gewesen ist. „Hinter uns liegen – vorsichtig gesagt – bewegte Tage.“

Viele Aktionäre wollen natürlich mehr über die Hintergründe des Machtkampfs zwischen Piëch und Winterkorn. Sie liegen noch immer im Dunkeln. Der Machtkampf sei „schrecklich unprofessionell“ gewesen, kritisiert etwa der Präsident der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz, Ulrich Hocker. Doch auf all die Fragen nach den Motiven Piëchs hat Huber keine Antwort: „Das weiß nur Herr Professor Piëch selbst.“

Winterkorn blickt nach vorn

Winterkorn ist anschließend bemüht, den Blick nach vorn zu richten. Er gibt sich kämpferisch: „Wir wollen nicht nur immer größer werden. Wir wollen vor allem immer besser werden, sagte er und bekräftigte das Ziel, „auf lange Sicht“ die Nummer ein in der Welt zu werden. Die Geschäftsbasis von VW sieht Winterkorn durch die Führungskrise nicht beschädigt. „Es gab in den letzten Wochen unzählige Interpretationen, Spekulationen und leider auch Übertreibungen“, sagte er. Dabei sei VW „ein kerngesundes Unternehmen mit sehr guten Geschäftsergebnissen und mit mindestens genauso guten Zukunftsperspektiven.“

Genau daran hatte Piëch offenbar Zweifel, zumindest, ob Winterkorn für diese Herausforderung der Richtige sei. Der sagte gestern, man wisse um die Aufgaben, „und wir haben sie längst angepackt“. Dazu zählen die renditeschwache Kernmarke VW rund um Golf und Passat, ein fehlendes Billigauto für die Schwellenländer und das angeschlagene US-Geschäft. VW habe die Probleme in den USA erkannt und wolle dort nun in die Offensive gehen, sagte Winterkorn. „Dafür stehe ich.“

Sparprogramm läuft gut an

Auch für eine Dezentralisierung seiner Führung unternimmt VW erste Schritte. Dazu bündelt der Konzern sein schweres Nutzfahrzeug-Geschäft mit den Töchtern MAN und Scania in einer eigenständigen Holding. Die neue Dachgesellschaft für die Lkw und Busse im VW-Konzern erhält einen eigenen Aufsichtsrat, in dem die Arbeitnehmer nach Konzernvorbild ein gewichtiges Wort mitreden. Der Umbau in der Nutzfahrzeug-Sparte könnte als Blaupause für weitere Teile des Konzerns dienen.

Gut kam bei den Aktionären die Nachricht über Fortschritte beim Sparprogramm für die Kernmarke VW an: „Wir rechnen damit, dass deutlich über eine Milliarde Euro davon bereits im laufenden Jahr ergebniswirksam wird“, sagte Winterkorn. Insgesamt will der Autobauer fünf Milliarden Euro bis 2017 einsparen.