Essen. . Die Energiewende setzt die Kommunalversorger unter Druck. Mit konventionellen Kohlekraftwerke produzieren Stadtwerke Millionenverluste. Städte müssen auf Gewinne verzichten.

Einst galten sie als so sicher wie die Verbeamtung. Ein Job bei den Stadtwerken, das war gleichbedeutend mit einer Lebensanstellung, garantierte Altersversorgung inklusive. Noch ist an diesem Bild viel dran. Doch durch die Korridore der oft noblen Glaskästen vieler Stadtwerke-Zentralen weht mehr und mehr unternehmerische Zugluft. Stadtwerke arbeiten inzwischen wie ein mittelständisches Wirtschaftsunternehmen. Dortmunds DSW21-Holding etwa erwirtschaftet einen Umsatz von 1,4 Milliarden und beschäftigt 3890 Mitarbeiter. Bei der Duisburger Versorgungs- und Verkehrsgesellschaft DVV (Umsatzerlös 2013: 2,35 Milliarden Euro) stehen über 4500 Menschen in Lohn und Brot.

Trotz der imposanten Zahlen: Das goldene Zeitalter, in dem die Stadtwerke mit ihrem Strom-, Gas- und Wassergeschäft gleichsam als Gelddruckmaschine für die Kommunen fungierten, scheint endgültig vorbei zu sein. Und damit auch die Jobgarantie: Eine Welle von „Restrukturierungsmaßnahmen“ und „Exzellenz-Initiativen“ hat viele Stadtwerke erfasst. Gemeint ist ein maßvoller, sozialverträglicher Stellenabbau. Doch schon wollen einzelne Unternehmen betriebsbedingte Kündigungen nicht mehr ausschließen. Gesagt wird so etwas hinter vorgehaltener Hand. Noch.

Grüner Strom bevorzugt

Denn der Wind hat sich gedreht. Kein Wunder: Deutschlands aktuelle Energiepolitik mit ihrer Bevorzugung von grünem Strom setzt nicht nur Branchenriesen wie Eon und RWE unter Druck, sondern eben auch die Stadtwerke. In einer Umfrage des Verbandes kommunaler Unternehmen VKU blickten jetzt 61 Prozent der befragten Kommunalversorger pessimistisch in die Zukunft. „Die gesamte Branche befindet sich im Krisenmodus“, sagt ein Stadtwerke-Boss aus dem Ruhrgebiet. Manche Stadtwerke seien angesichts der ungewissen Energiepolitik des Bundes in einer „Agonie-Haltung“.

Betroffen sind besonders die Stadtwerke mit eigener Energieproduktion und großen Kraftwerksbeteiligungen. Das sind im Ruhrgebiet fast alle. Allein in Duisburg haben die beiden Kraftwerke Hochfeld und Wanheim im vergangenen Jahr 17 Millionen Euro Verluste eingefahren. Die Stadtwerke prüfen nun deren Abschaltung. Die Verluste im Kraftwerkssegment bescherten der Stadtwerke-Mutter DVV schon 2014 ein Minus von vier Millionen Euro. 2015 könnte der Verlust sogar im zweistelligen Millionen-Bereich liegen, wenn nicht gegengesteuert wird.

Die größten Kraftwerke in NRW

Das Braunkohle-Kraftwerk Neurath in Grevenbroich ist Deutschlands größtes Kraftwerk – mit einer Brutto-Leistung von 2200 MW.
Das Braunkohle-Kraftwerk Neurath in Grevenbroich ist Deutschlands größtes Kraftwerk – mit einer Brutto-Leistung von 2200 MW. © Hans Blossey/Archiv
Hier ein Bild vom Neubau 2012
Hier ein Bild vom Neubau 2012 © Hans Blossey/Archiv
Das Braunkohle-Kraftwerk Niederaußem in Bergheim ist das zweitgrößte Deutschlands. (3864 KW)
Das Braunkohle-Kraftwerk Niederaußem in Bergheim ist das zweitgrößte Deutschlands. (3864 KW) © imago/Archiv
Braunkohle-Kraftwerk Weisweiler bei Eschweiler (2293 KW)
Braunkohle-Kraftwerk Weisweiler bei Eschweiler (2293 KW) © dpa/Archiv
Braunkohle-Kraftwerk Frimmersdorf (2265 KW) bei Grevenbroich – und direkt daneben...
Braunkohle-Kraftwerk Frimmersdorf (2265 KW) bei Grevenbroich – und direkt daneben... © Hans Blossey/Archiv
...Deutschlands größtes Kraftwerk, Neurath.
...Deutschlands größtes Kraftwerk, Neurath. © Hans Blossey/Archiv
Deutschlands größtes  Steinkohle-Kraftwerk in Voerde (2222 KW)
Deutschlands größtes Steinkohle-Kraftwerk in Voerde (2222 KW) © Hans Blossey/Archiv
...und so sehen Bewohner von Voerde-Möllen das Kraftwerk.
...und so sehen Bewohner von Voerde-Möllen das Kraftwerk. © WAZ Fotopool/Archiv
Gersteinwerk in Werne-Stockum (2096 KW)
Gersteinwerk in Werne-Stockum (2096 KW) © WAZ FotoPool/Archiv
Kraftwerk Scholven, Gelsenkirchen (2056 KW)
Kraftwerk Scholven, Gelsenkirchen (2056 KW) © Hans Blossey/Archiv
Kraftwerk Herne-Baukau (950 KW)
Kraftwerk Herne-Baukau (950 KW) © WAZ FotoPool/Archiv
Gasturbinenkraftwerk in Hamm-Uentrop (850 KW)
Gasturbinenkraftwerk in Hamm-Uentrop (850 KW) © Hans Blossey/Archiv
Vom Kraftwerk in Hürth-Knapsack bei Köln haben wir nur ein britisches Kriegsfoto  gefunden – aber auch das ist beeindruckend.
Vom Kraftwerk in Hürth-Knapsack bei Köln haben wir nur ein britisches Kriegsfoto gefunden – aber auch das ist beeindruckend. © Getty Images
Kohlekraftwerk Bergkamen-Heil (344 KW)
Kohlekraftwerk Bergkamen-Heil (344 KW) © WAZ FotoPool/Archiv
Kraftwerk Elverlingsen in Werdohl (638 KW)
Kraftwerk Elverlingsen in Werdohl (638 KW) © Enervie
Gichtgaskraftwerk Duisburg-Huckingen auf dem Gelände des Hochofenstahlwerks Krupp Mannesmann
Gichtgaskraftwerk Duisburg-Huckingen auf dem Gelände des Hochofenstahlwerks Krupp Mannesmann © imago/Archiv
Rheinbogen und Golfplatz Lausward Kraftwerk Lausward,  Düsseldorf, Niederrhein, Nordrhein-Westfalen, Deutschland, Europa
Rheinbogen und Golfplatz Lausward Kraftwerk Lausward, Düsseldorf, Niederrhein, Nordrhein-Westfalen, Deutschland, Europa © Hans Blossey/Archiv
Die Lüner Kraftwerke von Steag (rechts) und Trianel (links) am Datteln-Hamm-Kanal
Die Lüner Kraftwerke von Steag (rechts) und Trianel (links) am Datteln-Hamm-Kanal © Hans Blossey/Archiv
Kraftwerk Duisburg-Walsum (410 KW)
Kraftwerk Duisburg-Walsum (410 KW) © Hans Blossey/Archiv
...und das Walsumer Kraftwerk ein wenig romantisiert.
...und das Walsumer Kraftwerk ein wenig romantisiert. © WAZ FotoPool/Archiv
Kraftwerk Knepper in Dortmund Mengede (530 KW) – hinten links Trianel in Lünen
Kraftwerk Knepper in Dortmund Mengede (530 KW) – hinten links Trianel in Lünen © Hans Blossey/Archiv
Das Kraftwerk Datteln soll die alten Kraftwerke Scholven und Shamrock sowie die drei Blöcke in Datteln ersetzten, deren  Betriebsgenehmigung 2012 auslief. Aber beim Neubau herrscht Baustopp wegen eines Rechtsstreit um den Bebauunsplan. (geplante Brutto-Leistung: 1100 MW)
Das Kraftwerk Datteln soll die alten Kraftwerke Scholven und Shamrock sowie die drei Blöcke in Datteln ersetzten, deren Betriebsgenehmigung 2012 auslief. Aber beim Neubau herrscht Baustopp wegen eines Rechtsstreit um den Bebauunsplan. (geplante Brutto-Leistung: 1100 MW) © Hans Blossey/Archiv
Das Kohlekraftwerk Westfalen (284 KW) in Hamm-Uentrop. Der stillgelegte Atomreaktor...
Das Kohlekraftwerk Westfalen (284 KW) in Hamm-Uentrop. Der stillgelegte Atomreaktor... © Hans Blossey/Archiv
...schläft im
...schläft im "sicheren Einschluss" auf dem Gelände, im Bild mittig unten links. Der THTR war weniger als zwei Jahre in Betrieb (1987-89) © Hans Blossey/Archiv
Die Kühltürme des stillgelegten Eon-Kraftwerks Shamrock in Herne am 20. November 2014. Das neue Kraftwerk in Datteln soll das Shamrock ersetzen – aber es gilt Baustopp.
Die Kühltürme des stillgelegten Eon-Kraftwerks Shamrock in Herne am 20. November 2014. Das neue Kraftwerk in Datteln soll das Shamrock ersetzen – aber es gilt Baustopp. © WAZ FotoPool
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Duisburg stoppt Plan für Wasserkraftwerk

Auch die Umwelt leidet: Pläne in Duisburg für ein Wasserkraftwerk an der Ruhr und zwei Windräder im Duisburger Süden wurden zu den Akten gelegt: nicht refinanzierbar. Dortmund hat Investitionen in erneuerbare Energien zwei Jahre lang auf Eis gelegt. Der südwestfälische Energieversorger Enervie ist mit seinem konventionellen Kraftwerkspark tief in die Verlustzone gerutscht. Dividenden kann das Unternehmen an seine Eigner zwischen Hagen und Lüdenscheid nicht mehr ausschütten.

Beim hochmodernen Gaskraftwerk Hamm-Uentrop, an dem die Stadtwerke Bochum, Herne und Witten beteiligt sind, liefen bislang 50 Millionen Euro Verluste auf. In Witten fällt daher die von der hoch verschuldeten Stadt dringend erwartete Gewinnausschüttung flach. Die drei Städte sind zudem beteiligt am Lüner Trianel-Kohlekraftwerk (Baukosten: 1,4 Milliarden Euro), das zwar Strom für 1,6 Millionen Haushalte produziert – aber eben auch ein Minus von 140 Millionen Euro. Über das Baudesaster um das RWE-Steinkohlekraftwerk in Hamm (GEKKO) schweigen Stadtwerke-Fürsten ohnehin gern hinweg: 50 Prozent des 2,7-Milliarden-Euro-Neubaus wurden in den Sand gesetzt. Allein Dortmund, an GEKKO beteiligt wie Bochum und Herne, musste Verlustrückstellungen in Höhe von 70 Millionen Euro bilden. Für den klammen Dortmunder Haushalt bleibt nichts mehr übrig.

Gewinnausschüttung für die Stadt Bochum

Mit Gewinnausschüttungen an die 50 Millionen Euro stehen die Bochumer Stadtwerke dagegen wie mit Spendierhosen da. Die Stadt kann damit mühelos ihren Anteil an den Nahverkehrsverlusten der Bogestra begleichen und zusätzlich noch 19 Millionen in die leere Stadtkasse pumpen. Doch der Schein trügt. Bochum macht eine andere Altlast zu schaffen: So wie Dortmund und Essen fällt den Bochumern die Verbandelung mit dem ebenfalls unter der Energiewende leidenden Essener RWE-Konzern vor die Füße. Sicher geglaubte Dividenden-Zahlungen aus dem großen RWE-Aktien-Paket der Stadt bleiben aus. Bochums Stadtwerke-Boss Gerd Wilmert tritt bereits auf die Euphorie-Bremse. Sollte RWE die Dividende noch weiter kürzen, müsse die Stadt die 19 Millionen wohl in den Wind schreiben.