Essen. Die CDU will Anreize setzen, über das gesetzliche Rentenalter hinaus berufstätig zu bleiben. Dabei winken üppige Zuschläge, die kaum jemand nutzt.

Die meisten Menschen in Deutschland setzen sich lieber früher als später zur Ruhe. So lässt es der Ansturm auf die Rente mit 63 vermuten: Rund 200.000 dürften bis zum Jahresende einen Antrag gestellt haben. Die Union aber lenkt die Diskussion nun in die andere Richtung: Wer will, soll auch länger arbeiten können und dafür belohnt werden. Der Chef der CDU-Sozialausschüsse, Karl-Josef Laumann, versprach entsprechende Gesetzesänderungen noch in diesem Jahr. Was dabei in den Hintergrund gerät: Wer will und sich mit seinem Arbeitgeber einig ist, kann schon heute länger arbeiten als er müsste – und erhält dafür auch deutlich mehr Rente.

Die Rentenversicherung verbietet niemandem, seinen Renteneintritt zu verschieben. Im Gegenteil: Für jeden Monat erhöht sich die Rente um 0,5 Prozentpunkte, in einem Jahr also um sechs Prozent. Das ist deutlich mehr als umgekehrt der Abschlag für einen verfrühten Renteneintritt – er kostet jeden Monat 0,3 Prozentpunkte, also 3,6 Prozent pro Jahr. Der Gesetzgeber gibt also längst einen starken Anreiz, länger zu arbeiten, in der aktuellen Diskussion findet dies jedoch kaum Erwähnung.

Laumann dagegen zielt auf Ältere, die bereits in Rente gegangen sind, nebenbei aber noch arbeiten. Sie dürfen so viel hinzuverdienen, wie sie wollen. Der Haken: Ihr Arbeitgeber zahlt weiter Rentenbeiträge, von denen die arbeitenden Rentner aber nichts haben.

In vielen Branchen keine Beendigungsklausel

Die CDU will diese Gerechtigkeitslücke schließen, doch brächte das den Durchbruch? Die möglichen Rentensteigerungen wären deutlich geringer als im oben beschrieben Fall, dass die Rente einfach verschoben wird. Wer lieber in Rente geht und etwas hinzuverdient, geht diesen Weg in der Regel sehr bewusst, um langsam kürzer zu treten als voll weiter zu arbeiten.

Auch interessant

72015507-kTeE--198x148@DERWESTEN.jpg
Von Wilfriede Goebels, Miguel Sanches

Dass dies trotz der verschenkten Rentenbeiträge der Arbeitgeber attraktiver ist, zeigen die Zahlen. Zuletzt waren 173.000 Über-65-Jährige sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Doch nur sehr wenige verschieben dafür ihren Renteneintritt. Zuletzt verzeichnete die Rentenversicherung je gut 7000 Menschen, die erst mit 66 bis 69 Jahren in Altersrente gingen.

Als Grund dafür wird oft genannt, Tarifverträge würden zum Renteneintritt zwingen. Doch das stimmt so nicht. Das WSI-Tarifarchiv der Hans-Böckler-Stiftung hat für unsere Zeitung nachgeschaut und in vielen Branchen keine Beendigungsklausel bei Erreichen des Rentenalters gefunden. In der Metallindustrie, der Chemie, dem Baugewerbe, Hotel- und Gaststättengewerbe und der Druckindustrie gibt es keine solche Regelung. Im Einzelhandel und bei den Versicherungen schon, aber mit der Erlaubnis von Abweichungen, also einer Hintertür. Den Renteneintritt ohne Ausnahme sehen Tarifverträge bei Banken, im privaten Verkehrsgewerbe und der Süßwarenindustrie vor. Unterm Strich sagt WSI-Experte Reinhard Bispinck: „Die Tarifverträge stehen in vielen Branchen einem längeren Arbeiten zumindest nicht im Wege.“

Gewerkschaft Verdi diskutiert Änderungen

Was auffällt: Oft sind es Verträge der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, die noch Beendigungsklauseln enthalten. Jörg Wiedemuth, Leiter der tarifpolitischen Grundsatzabteilung von Verdi, sagte dieser Zeitung, man diskutiere derzeit, diese Regelungen zu ändern. Allerdings nur, wenn gleichzeitig auch das frühere Ausscheiden ermöglicht werde, etwa durch neue Altersteilzeit-Modelle.

Auch interessant

Die eigentliche Hürde waren bisher nicht die Tarif-, sondern die Arbeitsverträge. In die schreiben Arbeitgeber meist den Satz: „Das Arbeitsverhältnis endet mit Erreichen des Regelrentenalters“. Das ist jedoch seit Sommer 2014 kein Automatismus mehr. Seitdem ist es erlaubt, den Renteneintritt mehrfach aufzuschieben. Wenn also der Arbeitgeber einen älteren Facharbeiter halten will und der dazu bereit ist, steht dem nichts im Wege.

Dass dies bisher die Ausnahme ist, könnte sich ändern – wegen des Fachkräftemangels und weil künftig mehr Menschen länger arbeiten wollen. Das sagen sie zumindest: 58 Prozent der Befragten gaben jüngst gegenüber Forsa an, sie könnten sich vorstellen, länger zu arbeiten als bis zum Regelalter, von den 20- bis 30-Jährigen sagten das sogar 73 Prozent.