Essen. Die Prognosen schwanken enorm. Die Bundesagentur für Arbeit sieht zumindest für Januar noch keine Anzeichen für größere Verwerfungen.

Wird er Jobs vernichten oder nicht? Das ist die zentrale Frage zur Einführung des Mindestlohns im neuen Jahr. Die Wirtschaftsinstitute sind uneins, die einen erwarten keine großen Verwerfungen, das ifo-Institut sieht dagegen gleich 900 000 Stellen in Gefahr. Die Bundesregierung gibt sich zuversichtlich, dass dies nicht geschieht. Sie geht davon aus, dass bundesweit rund 3,7 Millionen Menschen im neuen Jahr durch den Mindestlohn mehr Geld verdienen – und hofft, dass sie auch alle ihren Job behalten. Nun liegen die ersten Prognosen der Bundesagentur für Arbeit vor, und sie fallen vorsichtig optimistisch aus.

„Die Frühindikatoren geben keinen Anlass zu der Annahme, dass im Januar wegen des Mindestlohns die Arbeitslosigkeit über das saisonübliche Maß hinaus ansteigen wird“, sagte eine Sprecherin der Bundesagentur für Arbeit in NRW dieser Zeitung.

Auch interessant

Keine besonderen Auffälligkeiten

Wichtigster Frühindikator dafür ist die Zahl derer, die sich als arbeitssuchend melden, obwohl sie noch beschäftigt sind. Würden mit Einführung des Mindestlohns im Januar viele Jobs wegfallen, müssten solche Meldungen signifikant steigen. Die Zahl der „nichtarbeitslosen Arbeitssuchenden“ stieg in NRW aber im November saisonbereinigt nur um 0,7 Prozent auf 38 200. Das liegt im Rahmen normaler Schwankungen, im Vergleich zum Vorjahresmonat sank sie sogar um 4,3 Prozent.

Auch eine Einzelauswertung der mutmaßlich betroffenen Niedriglohnbranchen wie Einzelhandel, Gastgewerbe, Postdienste, Friseurhandwerk oder Fleischverarbeitung habe keine besonderen Auffälligkeiten ergeben.

Bundesagentur rechnet mit Stagnation

Trotzdem bleiben in der Nürnberger BA-Zentrale Restzweifel. Behördenchef Frank-Jürgen Weise sagte zwar unlängst dem Focus: „Ich glaube nicht, dass massenhaft Stellen verloren gehen.“ Er schob aber einschränkend nach: „Ohne Mindestlohn hätten wir 2015 möglicherweise noch etwas weniger Arbeitslose.“ So rechnet die Bundesagentur für 2015 nur mit einem stagnierenden Arbeitsmarkt.

Auch das BA-eigene Forschungsinstitut IAB sieht viele Unwägbarkeiten. Einstweilen vermutet es einen negativen Beschäftigungseffekt „im oberen fünfstelligen Bereich“, vor allem bei den Minijobs. Bei weitem nicht alle Betroffenen würden aber dadurch arbeitslos, so das IAB, schließlich seien viele Minijobber Rentner oder Studenten.

Prognosen fallen auch deshalb schwer, weil die 8,50 Euro Mindestlohn ab 1. Januar überall dort nicht gelten, wo ein gültiger Tarifvertrag noch niedrigere Löhne vorsieht. Wirklich bindend wird der Mindestlohn hier erst 2017. Die meisten betroffenen Branchen haben sich darauf rechtzeitig eingestellt und eine stufenweise Anhebung des untersten Stundenlohns auf eben jene 8,50 Euro vorgesehen.

Branchen haben schon reagiert

So geschehen etwa in der Gastronomie in NRW, im Friseurhandwerk und auch für Pflegehilfskräfte. Indirekt profitieren auch diese Beschäftigten vom Mindestlohn, weil ihre Tarife nicht ganz freiwillig angepasst werden. Das Inkrafttreten des Gesetzes selbst hat aber keinen Einfluss mehr auf ihre Löhne.

Darüber, ob Jobs wegfallen, wird die Frage entscheiden, ob die Arbeitgeber die höheren Löhne über den Preis an die Kunden weitergeben können. Hier sieht BA-Chef Weise die größten Risiken in Ostdeutschland. Dort müsste etwa der Haarschnitt beim Frisör teurer werden, was weniger zahlungskräftige Kunden abschrecken könnte.

Taxibranche trifft es vor allem

Im Westen direkt betroffen ist zunächst vor allem die Taxibranche. Wegen der bisher unbezahlten Zeiten, in denen der Wagen steht, kommen die Fahrer bei weitem nicht auf 8,50 Euro die Stunde. Im Vorgriff auf den Mindestlohn hat das Taxigewerbe daher in fast allen Städten Preiserhöhungen um durchschnittlich 20 Prozent durchgesetzt. Die Branche erwartet eine Ausdünnung der Taxi-Verfügbarkeit und damit auch des Fahrerpersonals zu schlecht frequentierten Tageszeiten und an Feiertagen.

Grundsätzlich wirkt der Mindestlohn überall dort, wo nicht nach Tarif und weniger als 8,50 Euro die Stunde gezahlt wird. So manchen Betrieb dürfte das überfordern. Hier wird die Frage sein, ob die im Pleitefall wegfallenden Billigjobs dann bei der tarifgebundenen Konkurrenz neu entstehen.