Essen. . Der Ausstieg aus der Steinkohleförderung in Deutschland hinterlässt tiefe Spuren auf dem Arbeitsmarkt. Allein im zu Ende gehenden Jahr hat der Zechenkonzern RAG rund 3000 Stellen gestrichen, wie Konzernchef Bernd Tönjes berichtet. Auch für die nächsten Jahre ist ein rapider Abbau geplant.

In Bochum ist der letzte Opel vom Band gerollt, bald schließt mit Auguste Victoria in Marl die nächsten Zeche in der Region, große Arbeitgeber wie RWE und Eon schrumpfen. Wie geht es weiter im Ruhrgebiet? Im Interview spricht Bernd Tönjes, Chef des Bergbau-Konzerns RAG, über alte und neue Arbeitsplätze, den schwierigen Strukturwandel und das Ziel, dass kein Bergmann ins Bergfreie fällt.

Herr Tönjes, ist das Ruhrgebiet im bundesweiten Vergleich besonderen Belastungen ausgesetzt?

Bernd Tönjes: Kaum eine andere Region ist dem Wandel so ausgesetzt gewesen wie das Ruhrgebiet. Und nicht erst seit heute. Die Region wandelte sich von einer einst landwirtschaftlich geprägten Gegend zum Motor der Industrialisierung in Deutschland mit Kohle und Stahl. Dazu kamen Industriebereiche, die genau dies benötigten, beispielsweise Opel. Insofern repräsentierte der Autobauer schon den nächsten Wandel im Ruhrgebiet innerhalb kurzer Zeit. Ob Maschinenbau oder chemische Industrie, Medizintechnik oder IT – im Ruhrgebiet sind heute zahlreiche unterschiedliche Branchen ansässig. Wir sind also wandelerprobt.

Sind Sie besorgt, wenn Sie auf das Ruhrgebiet blicken?

Tönjes: Bei allen Problemen, die nicht wegzureden sind: Die Innovationskraft der Region ist hoch. Und es sind die angestammten Unternehmen selbst, die die Entwicklung vorantreiben. Unternehmen, denen im Gegensatz zu Konzernen mit Zentralen in Detroit oder Finnland die Entwicklung hier vor Ort nicht gleichgültig ist. Es zeigt sich aber auch: Die neuen Branchen sind nicht in der Lage, die Anzahl an Arbeitsplätzen zu schaffen, die in den angestammten Industrien verloren gegangen sind. So sind neben Investitionen in der Privatwirtschaft dringend auch Investitionen in die öffentliche Infrastruktur notwendig.

RAG-Chef Bernd Tönjes muss den Ausstieg aus der Steinkohle-Förderung organisieren.
RAG-Chef Bernd Tönjes muss den Ausstieg aus der Steinkohle-Förderung organisieren. © Marc Albers

Auch die Zahl der Bergleute geht immer weiter zurück. Wie viele Arbeitsplätze sind bei der RAG im zu Ende gehenden Jahr weggefallen?

Tönjes: Ende 2013 lagen wir noch bei knapp über 13.000 Beschäftigten. Am Ende dieses Jahres werden wir die 10.000-Marke erreichen.

Viele Bergleute wechseln ihren Standort

Welcher Arbeitsplatzabbau ist für die nächsten Jahre geplant?

Tönjes: Wir werden 2016 noch mit rund 7000 Beschäftigten antreten. Danach auf rund 5500 im Jahr 2017 und bis 2018 auf 3600 reduzieren. Wir müssen ab 2016 mit unserer Mannschaft noch für drei Jahre auf zwei Bergwerken unsere Lieferverpflichtungen erfüllen. Das hört sich leichter an, als es ist. Viele Bergleute wechseln ihren Standort und müssen Arbeiten übernehmen, die ihnen fremd sind. Und trotz allem müssen wir die Motivation halten, damit alle Arbeiten erledigt werden und dabei unsere Unfallquote im Vergleich zu anderen Branchen und anderen Bergbauländern auf einem vorbildlich niedrigen Niveau bleibt.

Finden die Bergleute, die ihren Job verlieren, eine Anschlussbeschäftigung?

Tönjes: Unser Ziel lautet, dass kein Bergmann ins Bergfreie fällt. Unsere Mitarbeiter sind erstklassig ausgebildet und auch veränderungsbereit. Wir sind daher bei der Vermittlung in andere Branchen auf einem guten Weg. Natürlich erfordert das vom Unternehmen wie von den Betroffenen einige Anstrengungen. In den vergangenen Jahren haben mehrere tausend Mitarbeiter das Unternehmen verlassen, um woanders eine berufliche Zukunft zu finden. Wir sind mit der Entwicklung zufrieden.

Die letzten Auszubildenden

Die RAG war viele Jahre lang auch ein großer Ausbildungsbetrieb in NRW und speziell im Ruhrgebiet. Lässt sich die Lücke, die nun entsteht, ohne Probleme schließen?

Tönjes: Der Bergbau war einer der größten industriellen Ausbilder. Wir haben in diesem Jahr die letzten Auszubildenden eingestellt, und zwar die, die ihre Ausbildung bei uns noch bis zum Ende des subventionierten Steinkohlenbergbaus abschließen können. Ohne Betriebe gibt es auch keine betriebliche Ausbildung mehr. Um Jugendliche auch zukünftig auf ihren Beruf qualifiziert vorzubereiten, benötigen wir eine große Allianz aller Beteiligten und vor allem Betriebe, die auch bereit sind, über den eigenen Bedarf hinaus auszubilden – so wie wir das auch jahrzehntelang gemacht haben.

Für den Betrieb der Zechen sind milliardenschwere Subventionen geflossen. Fehlt das Geld an anderer Stelle im Ruhrgebiet?

Tönjes: Die Subventionen für den Steinkohlenbergbau, die übrigens nicht nur vom Land sondern größtenteils vom Bund kamen, sind immer auch dem Land zu Gute gekommen. Tausende von Bergleuten und ihre Familien brachten Kaufkraft und Einnahmen für die Kommunen. Der Bergbau war aber nicht nur großer Arbeitgeber, sondern auch Auftraggeber. Über den Bergbau entwickelte sich eine Vielzahl von Unternehmen, die heute weltweit erfolgreich unterwegs sind.