Düsseldorf. Der Umbruch in der Stromwirtschaft lässt die Politik nicht kalt. Was, wenn sich die Konzerne nur bei den Kosten des Atomausstiegs durchmogeln wollen?
Sigmar Gabriel ist ziemlich einsilbig. "Nein", sagt er auf die Frage, ob der Staat notfalls das Atom- und Kohlegeschäft von Eon übernimmt. Nur ein knappes "Nein" gibt es am Montag auch vom Wirtschaftsminister beim Punkt, ob der Konzern mit der Abspaltung seines Kraftwerksgeschäfts die Bundesregierung unter Druck setzen wolle, um bessere Marktbedingungen zu bekommen.
Gabriel hat gerade mit Österreichs Bundeskanzler Werner Faymann das Buch "So kann Europa gelingen" vorgestellt. Als Minister muss der SPD-Chef folgendes Projekt vorantreiben: "So kann die Energiewende gelingen."
Auch Vattenfall denkt über einen Braunkohleausstieg nach
Gabriel ist vorab am Wochenende über den Eon-Paukenschlag informiert worden. Nachdem zuvor schon Vattenfall mitgeteilt hat, einen Verkauf seiner deutschen Braunkohlesparte zu erwägen, will Eon nun sein ganzes Atom-, Kohle- und Gas-Geschäft in eine eigene Gesellschaft ausgliedern. Der Dax-Konzern will sich auf Erneuerbare Energien, Netze und Kundendienstleistungen konzentrieren.
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Diese Entscheidung dürfte Gabriel und Kanzlerin Angela Merkel (CDU) noch viel Kopfzerbrechen bereiten. Eon-Chef Johannes Teyssen und RWE-Chef Peter Terium stehen seit Monaten in engem Kontakt zum Kanzleramt. Bis zum Sommer könnte ein Paket stehen, mit Klarheit für die Neugestaltung des Strommarktes und einer möglichen außergerichtlichen Einigung bei den diversen Atomklagen - die Konzerne fordern Schadenersatz von weit über zehn Milliarden Euro.
So könnten alle Seiten etwas davon haben, wenn am Ende ein umfassender "Deal" geschmiedet wird. Denn nicht nur die Probleme der großen Erzeuger sind groß - ebenso die Risiken für Stromkunden und Steuerzahler.
Drei Botschaften und viele Fragen
Die Eon-Wende liefert drei Botschaften - und wirft Fragen auf.
Erstens: Der Konzern verdient wie auch die anderen drei großen Energieversorger RWE, Vattenfall und EnBW zu wenig Geld mit dem konventionellen Kraftwerksgeschäft. Viel Sonne und Wind machen gerade in der wärmeren Jahreszeit den Stromverkauf zum Minusgeschäft. Das Ausland wird dieses Jahr so viel deutschen Strom abnehmen wie nie zuvor - es gibt ein sattes Überangebot. Bei der Bundesnetzagentur sind rund 50 Kraftwerke mit 8051 Megawatt Leistung zur Stilllegung angemeldet, nur wenn sie als systemrelevant gelten, kann das untersagt werden. Das ist vor allem in Süddeutschland der Fall.
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Zweitens: Die Energiewende wird als unumkehrbar angesehen. Wenn ein Durchbruch bei der Speicherung von überschüssigem Windstrom gelingt, braucht es viel weniger Kraftwerke als heute. Das ist bisher aber nicht in Sicht: Die Versorger fordern von Gabriel Extraprämien für konventionelle Kraftwerke, die anders als Solaranlagen und Windräder rund um die Uhr Strom liefern können. Also neben Geld für den produzierten Strom Geld für eine feste Liefergarantie, die dafür sorgt, dass es nicht zu bestimmten Zeiten zu Engpässen kommt. Gabriel hält die Karten noch bedeckt. Er warnt vor "Hartz IV" für Kraftwerke - denn gibt es ein üppiges neues Subventionssystem, droht ein starker Strompreisanstieg. Der Druck auf die Politik, finanziell zu helfen, ist angesichts der Eon-Wende und der Branchenkrise hoch.
Drittens: Es stellt sich die Frage, ob der bisher größte deutsche Energiekonzern nun in vollem Umfang noch für den Rückbau seiner Atomkraftwerke, die bundesweite Suche nach einem Endlagerung und die Kosten für die Einlagerung des Atommülls aufkommen wird. Eon hat mehrere Klagen gegen den Atomausstieg und Endlager-Kosten angestrengt. Linken und Grünen kommt die Wende seltsam vor. Die Atomkonzerne hätten schließlich jüngst dem Bund vorgeschlagen, alle Atommeiler und den gesamten Atommüll in eine staatliche Stiftung zu übertragen. Mit einer Einmalzahlung von rund 36 Milliarden Euro - so hoch sind die Rückstellungen - wollten sich die Unternehmen quasi freikaufen, kritisiert die Opposition. Die frühere NRW-Umweltministerin Bärbel Höhn (Grüne) warnt: "Ich befürchte, dass Eon eine Bad Bank für seine sieben Atomkraftwerke schafft, die von den Steuerzahlern gerettet werden muss." So müsste auch geklärt werden, was bei einer Insolvenz der abgespalteten Eon-Gesellschaft passiere.
Ohne starke Unternehmen wird es nicht gehen
So oder so werden nun die Karten neu gemischt - zwar gibt es bereits einen Ökostrom-Anteil von 27 Prozent, aber Braun- und Steinkohle machen noch 45 Prozent aus. Es braucht vorerst weiter fossile Kraftwerke mit knapp 90 000 Megawatt Leistung. Wenn man derzeit ein Wort immer wieder hört, dann dieses: Planungssicherheit. Die Frage ist, ob sich Energiebranche und Koalition auf ein Gesamtpaket einigen können - denn ganz ohne starke Player wird es nicht gehen. (dpa)