Leipzig. . Busfahrer und Feuerwehrleute müssen sonntags arbeiten. Aber müssen auch Videotheken und Callcenter am Wochenende öffnen? Nein, sagt das Bundesverwaltungsgericht und setzt nach einer Klage in Hessen der Sonntagsarbeit Grenzen. Das Urteil dürfte Folgen auch in anderen Bundesländern haben.

Das Bundesverwaltungsgericht hat der Ausweitung der Sonntagsarbeit Grenzen gesetzt. Die Leipziger Richter sehen keine Notwendigkeit für sonntags geöffnete Videotheken, Bibliotheken, Callcenter sowie Lotto- und Toto-Gesellschaften. Damit erklärten sie am Mittwoch wesentliche Teile einer Verordnung des Landes Hessen für unwirksam, das 2011 weitreichende Ausnahmen für den gesetzlich geschützten, arbeitsfreien Sonntag festgelegt hatte. Das Urteil dürfte weitreichende Folgen haben, da auch die meisten anderen Bundesländer ähnliche Verordnungen haben. (Az.: BVerwG 6 CN 1.13)

Die Gewerkschaft Verdi und zwei evangelische Gemeindeverbände hatten gegen die sogenannte Bedarfsgewerbeverordnung des Landes Hessen geklagt. Schon vor dem hessischen Verwaltungsgerichtshof (VGH) in Kassel hatten sie in der Vorinstanz recht bekommen. Teile dieses Urteils bestätigten jetzt die Leipziger Richter.

"Außerordentlich positiver Erfolg"

"Das ist für uns ein außerordentlich positiver Erfolg", sagte Bernhard Schiederig, Landesfachbereichsleiter Handel bei Verdi in Hessen. Die hessische Landesregierung kündigte an, das Verbot in den betroffenen Branchen sofort umzusetzen. Der Sozial-Staatssekretär Wolfgang Dippel (CDU) sprach von einem "sehr ausdifferenzierten Urteil", das auch andere Bundesländer betreffe. "Wir haben uns in Hessen bewusst an den in den anderen Ländern geltenden Regelungen orientiert."

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Der Call Center Verband kritisierte das Urteil als einen "Schlag ins Gesicht der Verbraucher". Am Sonntag telefonisch nicht erreichbar zu sein, sei für viele Unternehmen keine Option. "Jetzt ist der Bundesgesetzgeber gefordert, schnell mit einer Änderung des Arbeitszeitgesetzes zu reagieren", erklärte Verbandspräsident Manfred Stockmann.

Arbeitszeitgesetz sieht Ausnahmen vor

Nach dem Arbeitszeitgesetz ist in Deutschland eine Beschäftigung an Sonn- und Feiertagen nicht erlaubt. Das Gesetz selbst sieht jedoch Ausnahmen vor - etwa für Polizei, Feuerwehr, Krankenschwestern oder Notdienste. Zudem ermächtigt es die Bundesländer, weitere Ausnahmen vom Sonntagsschutz zu beschließen. Die Frage war, wie weit die Länder gehen dürfen.

Wo die Sonntagsarbeit geregelt ist:

GRUNDGESETZ

Das Grundgesetz übernimmt den Artikel 139 der Weimarer Reichsverfassung. Darin heißt es: "Der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage bleiben als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt." Kirchen, aber auch Vereine sollen den freien Tag für ihre Belange nutzen dürfen.

ARBEITSZEITGESETZ

Das Arbeitszeitgesetz bestimmt: "Arbeitnehmer dürfen an Sonn- und gesetzlichen Feiertagen von 0 bis 24 Uhr nicht beschäftigt werden." Dieses Gesetz umfasst bereits einen Katalog von Ausnahmen - etwa für Not- und Rettungsdienste, Krankenhäuser, Theater und Medien.

BEDARFSGEWERBEVERORDNUNGEN

Die Bedarfsgewerbeverordnungen der Länder sehen weitergehende Ausnahmen vor. Zum Erlass dieser Verordnungen sind die Länder durch das Arbeitszeitgesetz ermächtigt. Es enthält jedoch die Vorgabe, dass es diese Ausnahmen nur geben dürfe "für Betriebe, in denen die Beschäftigung von Arbeitnehmern an Sonn- oder Feiertagen zur Befriedigung täglicher oder an diesen Tagen besonders hervortretender Bedürfnisse der Bevölkerung erforderlich ist".

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Der VGH in Kassel hatte entschieden, dass auch Ausnahmeregelungen für Getränke- und Eisfabriken nichtig seien, die das Land Hessen vorgesehen hatte. Diese Eingriffe in den Sonntagsschutz seien so gravierend, dass nicht die Länder, sondern nur die Bundesregierung sie vornehmen dürften. Dem folgten die Bundesrichter nicht. Sie gaben dem VGH auf, sich noch einmal mit der saisonalen Sonntagsarbeit in Brauereien und Eisfabriken zu beschäftigen.

Buchmacher dürfen auch sonntags arbeiten

Nur in einem Punkt waren die Bundesrichter mit der hessischen Verordnung einverstanden: Buchmacher auf Pferderennbahnen dürfen auch sonntags arbeiten, da sie untrennbar mit den ohnehin veranstalteten Rennen verbunden sind.

Fragen und Antworten zur Sonntagsarbeit

Warum gibt es überhaupt Streit um die Sonntagsruhe?

Gewerkschaften und Kirchen beklagen seit langem einen schleichende Aushöhlung der Sonntagsruhe. Sie pochen auf den grundgesetzlichen Schutz des arbeitsfreien Sonntags. "Wir brauchen Polizei, Feuerwehr und Krankenhäuser. Aber wir brauchen keine telefonische Bestellannahme, keine sonntags geöffneten Büchereien und keine Wettannahmestellen", sagt Bernhard Schiederig, Landesfachbereichsleiter Handel bei Verdi in Hessen. Verdi war einer der Kläger.

Was sagt das Gesetz?

Das Grundgesetz stellt den Sonntag in Artikel 140 unter einen besonderen Schutz. Das Arbeitszeitgesetz legt zudem fest, dass Arbeitnehmer "an Sonn- und gesetzlichen Feiertagen von 0 bis 24 Uhr nicht beschäftigt werden" dürfen. Allerdings sind in diesem Gesetz bereits Ausnahmen benannt, etwa für Rettungsdienste, Krankenhäuser, Theater oder Landwirtschaftsbetriebe. Das Arbeitszeitgesetz ermächtigt außerdem die Bundesländer, unter bestimmten Voraussetzungen weitere Ausnahmeregelungen zu treffen.

Was steht in der hessischen Regelung?

Die hessische CDU/FDP-Regierung wollte 2011 Branchen eine feste Regelung geben, die bis dahin nur mit Ausnahmegenehmigung sonntags gearbeitet hatten. Das betraf Callcenter, Versandhandelsfirmen, Immobilienmakler, Musterhaus-Ausstellungen, Bibliotheken und Videotheken. Für die Videotheken hatten sich besonders die Liberalen eingesetzt. Brauereien sowie Getränke- und Eishersteller dürfen in der Hauptsaison von April bis Oktober acht Stunden arbeiten. Die hessische Verordnung ändert nichts an Ladenöffnungszeiten, es werden auch nicht mehr verkaufsfreie Sonntage geschaffen.

Wer muss in Deutschland sonntags arbeiten?

Krankenschwestern, Kellner, Busfahrer, Feuerwehrleute, Journalisten - das Arbeitszeitgesetz zählt eine ganze Reihe von Wirtschaftsbereichen auf, die vom Sonn- und Feiertagsschutz ausgenommen sind. Dazu kommen die Sonderregelungen in den Bundesländern.

Wie viele Menschen arbeiten in Deutschland an Sonn- und Feiertagen?

Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes arbeitete 2013 mehr als jeder vier Beschäftigte (28 Prozent) gelegentlich oder regelmäßig am Wochenende. Im Jahr davor waren es 28,6 Prozent. Zum Vergleich: 1992 lag der Anteil der Wochenendarbeiter noch bei 20,6 Prozent.

Gibt es auch Vorteile der Sonntagsarbeit?

Laut Arbeitszeitgesetz muss Arbeitnehmern, die an einem Sonntag beschäftigt werden, binnen zwei Wochen ein Ersatzruhetag gewährt werden. Das kann dann auch mal ein freier Donnerstag sein - gut für Behördengänge und Arztbesuche. Dazu kommen Zuschläge für Sonn- und Feiertagsarbeit, die in Tarifverträgen geregelt sind.

Was hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden?

Das Gericht bestätigte wesentliche Teile eines Urteils des hessischen Verwaltungsgerichtshofs (VGH). Dieser hatte die sogenannte Bedarfsgewerbeverordnung des Landes für nichtig erklärt, sofern sie die Sonntagsarbeit in Videotheken, Bibliotheken, Callcentern sowie Lotto- und Totogesellschaften betraf. Dem folgten die Leipziger Richter. Sie gaben dem VGH zudem auf, sich noch einmal eingehender mit der Sonntagsarbeit in Brauereien und Eisfabriken zu beschäftigen. Sollten in Hitzeperioden Engpässe bei der Versorgung der Bevölkerung drohen, könnte Sonntagsarbeit in dem Fall erlaubt sein.

Welche Auswirkungen wird das Leipziger Urteil haben?

Es setzt den Ländern Grenzen bei der Ausweitung der Sonntagsarbeit. Ausnahmen von der Sonntagsruhe sind nur zulässig, wenn erhebliche Schäden drohen oder es besondere Bedürfnisse in der Bevölkerung gibt, die gestillt werden müssten. Weil es konkret um die Regelungen des Landes Hessen ging, gelten diese nun in weiten Teilen nicht. Fast alle anderen Bundesländer haben ähnliche Verordnungen, die aber nicht juristisch angegriffen wurden und somit in Kraft sind. Aber auch dort dürfte nun eine politische Diskussion über die Sonntagsruhe geführt werden.

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Die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau sah einen Teilerfolg. "Das Urteil ist hilfreich für die weitere Diskussion rund um die Zukunft unserer Sonn- und Feiertage", sagte Ulrike Scherf, Stellvertreterin des Kirchenpräsidenten. Wichtig sei das Verbot der Sonntagsarbeit in Call-Centern. (dpa)