Ruhrgebiet. Sakramente ohne Kirchensteuer, Rechte ohne Pflichten? So könnte es bald kommen, sollte ein entsprechendes Urteil des Freiburger Verwaltungsgerichts auch in der nächsten Instanz bestätigt werden.

Das Urteil hätte weitreichende Folgen für die finanzielle Verfassung der Kirchen und für ihre Mitgliederentwicklung. Erstere könnte unsicherer werden, die Austrittswelle könnte jedoch abebben.

Kirchensteuer einer der Hauptgründe für den Austritt

„Bei den Gründen für einen Austritt steht die Kirchensteuer sicher an erster Stelle”, sagt Heribert Kleine, Leiter der Abteilung „Gemeinde und Lebensraum” im Bistum Essen. „Immer wenn es auf den Dezember zugeht, wenn das Weihnachtsgeld ansteht oder Veränderungen im Steuerrecht, macht sich das bei den Austritten bemerkbar.”

Eine Abhängigkeit der Austritte von der wirtschaftlichen Situation beobachtet auch die evangelische Kirche im Rheinland. Nachdem die Austritte ein Jahrzehnt kontinuierlich zurückgingen auf rund 13 600 im Jahr 2007, scheint sich der Trend im Krisenjahr 2008 umgekehrt zu haben. Die endgültigen Zahlen liegen noch nicht vor, doch Sprecher Jens Peter Iven sagt: „Ich glaube, dass die Finanzen eine Rolle spielen.”

Es geht um 9 Prozent der Lohn- und Einkommenssteuer

Die Kirchenvertreter sind sich einig: Will man Menschen zurückgewinnen, kommt irgendwann auch die Rede aufs liebe Geld. Es geht um 9 Prozent der Lohn- oder Einkommenssteuer. Wer etwa 3000 Euro brutto verdient, zahlt als Verheirateter 24,86 Euro. „Wir müssen transparent machen, warum wir die Kirchensteuer erheben”, sagt Kleine. „Sie sichert Arbeit, macht sie verlässlich”, erklärt Iven. Man könne verbindlicher planen als etwa in Italien, wo die Menschen selbst entscheiden, welcher Organisation ihre Kultursteuer zu Gute kommen soll.

Tatsächlich ist die Kirche nach eigenen Angaben der zweitgrößte Arbeitgeber im Lande. Etwa zwei Drittel der Kirchensteuer werden für Personal aufgewendet, für Seelsorge, für Jugendarbeit und Altenbetreuung zum Beispiel. Für „öffentliche soziale Zwecke” allerdings, kritisiert der Internationale Bund der Konfessionslosen und Atheisten, blieben nach kirchlichen Angaben nur höchstens 8 Prozent übrig. „Die Kosten von kirchlichen Schulen, Kindergärten, Krankenhäusern, Altenheimen werden fast ganz – zwischen 85 und 100 Prozent – aus öffentlichen Mitteln . . . gedeckt.”

Angst vor der internen "Steuerflucht"

Sollte das Verwaltungsgericht Freiburg nun Recht behalten, könnten sich Gläubige künftig von der Kirchensteuer per Erklärung freimachen, ohne ihre Mitgliedschaft zu verlieren. In Teilen der Kirche geht die Angst um vor der internen „Steuerflucht”. Aus der Reaktion des Erzbistums Freiburg auf das Urteil geht dies hervor. Der Essener Bistumssprecher Ulrich Lota wiegelt allerdings ab: „Nein”, solche Folgen sähe er nicht. Die Kirche habe seit langem klar gemacht: Wer den Austritt erklärt, der will gar nicht mehr in der Kirche sein. Also: Exkommunikation in diesen Fällen. Man will intern die Steuer zur Pflicht machen.

Stabilität wird hoch geschätzt im Ruhrbistum, das durch Strukturwandel und Bevölkerungsschwund ohnehin gebeutelt ist. Im laufenden Jahr werden die Einnahmen wohl noch einmal um 15 Prozent unter denen des Vorjahrs liegen, rechnet Lota vor, und das bei einem Schuldenberg von 40 Millionen Euro. Auch die Austritte liegen bisher auf dem Niveau von 2008. 4267 Menschen hatten da der Ruhrgebiets-Kirche den Rücken gekehrt.

Debatte kommt so oder so

Es mag überraschen, aber vor diesem Hintergrund sieht die katholische Kirche die Zukunft nicht mehr unbedingt im Kirchensteuersystem. Die Einnahmen werden bei zurückgehenden Mitglieds- und Bevölkerungszahlen sowie einer höheren Belastung durch staatliche Abgaben nicht mehr reichen – egal, ob das Urteil des Freiburger Urteil bestätigt wird oder nicht. Die Debatte komme, sagen viele, so oder so.