Washington. Mit Gewalt und Hysterie wollen Lobbygruppen, republikanische Anhänger und Wirrköpfe Obamas Gesundheitsreform torpedieren. Der Ton wird schriller, die Auseinandersetzung aggressiver. Öffentliche Veranstaltungen zur umstrittenen Gesundheitsreform des US-Präsidenten enden zunehmend im Chaos

Faustkämpfe, wüstes Geschrei, Verletzte und Verhaftungen bilden zunehmend den Begleitrahmen der Bürgerforen im ganzen Land, bei denen Abgeordnete aus dem Lager des Präsidenten für die Gesundheitsreform werben wollen. Kathy Castor hatte gerade angesetzt, ihre Begrüßungsrede vor 1500 Zuhörern in Tampa in Florida zu halten, als es rund ging.

„Tyrannei, Sozialismus, Schande”, brüllte ein entfesselter Mob die demokratische Abgeordnete nieder. Vor der Tür kam es zu Schlägereien. Bei Lloyd Doggetts Veranstaltung im texanischen Austin schleppten Gegner der Gesundheitsreform einen Papp-Grabstein mit Doggetts Namen in den Saal. Der Parlamentarier Frank Kratovil aus Maryland im Osten des Landes sah sich bereits symbolisch an einem Galgen aufgeknüpft.

Als Weiße hassender Rassist, gar als neuer Hitler wird Präsident Barack Obama in den Hetz-Shows rechtslastiger Radio-Moderatoren diffamiert, die ungeachtet des haarsträubenden Unsinns, der da verzapft wird, ein treues Millionenpublikum haben.

Höhere Kosten und schlechtere Leistungen befürchtet

Auch wenn es so aussehen soll: Mit spontanem Bürgerunmut gegen den Plan Obamas, die ausufernden Kosten des US-Gesundheitssystem in den Griff zu bekommen und zugleich Millionen unversicherter Amerikanern Schutz im Krankheitsfall zu bieten, hat die Hysterie wenig zu tun. Erzkonservative Gruppen stecken hinter der aggressiven Kampagne, die die Amerikaner verunsichern soll. Viele fürchten längst, dass die Reform nur höhere Kosten und Steuererhöhungen, schlechtere Leistungen und mehr Bürokratie mit sich bringen wird.

„Steh auf und schrei – fordere deinen Abgeordneten heraus!” Wie man Veranstaltungen sprengt, lässt sich in Anleitungen dieser Gruppierungen im Internet nachlesen. Gezielt wird auch mit Euthanasieängsten gespielt. Obama wolle ein staatliches „Todes-Gremium” schaffen, das entscheide, wer es wert sei, behandelt zu werden, polemisierte die frühere republikanische Kandidatin für das Amt des Vize-Präsidenten, Sarah Palin. Lobbygruppen und republikanische Parteigänger, aber auch Wirrköpfe stecken hinter den Protesten.

Obama ruft zur Gegenwehr auf

Kampflos wollen die Demokraten ihnen das Feld nicht länger überlassen. Übers Internet ließ Obama seine Anhänger aufrufen, den Lügen entgegen zu treten. „Wir dürfen nicht zulassen, dass Extremisten diese Debatte kidnappen”, appellierte Kampagnen-Direktor Mitch Stewart.

Zumindest Gene Green, ein Demokrat aus Texas, kann für sich in Anspruch nehmen, die Gegner mit deren Waffen geschlagen zu haben. Als er auf seiner Veranstaltung fragte, wer ein staatlich gefördertes Gesundheitssystem ablehnt, hoben sich fast alle Hände. Und als er nachfragte, wer im Saal von „Medicare” profitiert, ging wieder jede zweite Hand nach oben.

Die Ironie der Frage ging Greens Zuhörern nicht einmal auf. „Medicare” ist nichts anderes als eine staatliche Krankenversicherung für Bürger über 65, die Präsident Johnson vor 40 Jahren eingeführt hatte.