Washington. Barack Obama hat mit einer Kampfrede versucht, den Kongress auf die geplante Gesundheitsreform einzuschwören. Vor den Abgeordneten sparte der US-Präsident auch nicht mit Seitenhieben auf seinen Vorgänger George Bush. Von der Reform hängt seine politische Zukunft ab.

US-Präsident Barak Obama hat in einer mit Spannung erwarteten Rede vor beiden Häusern des Kongresses die Entschlossenheit bekräftigt, seine Pläne für eine Gesundheitsreform durchzusetzen. «Ich bin nicht der erste Präsident, der sich dieser Sache angenommen hat, aber ich bin entschlossen, der letzte zu sein», sagte Obama in der Rede am Mittwochabend (Ortszeit).

„Zeit des Taktierens ist vorbei“

Etwa 47 Millionen US-Bürger ohne Krankenversicherung, explodierende Gesundheitskosten - zu einer Reform gebe es keine Alternative. Seine Tür sei für Kritiker offen, wenn sie konstruktive Vorschläge machten, sagte der Präsident. «Aber eines ist klar: Ich werde keine Zeit für jene verschwenden, deren Kalkül es ist, dieses Vorhaben zu begraben anstatt es zu verbessern.»

Obama appellierte an die Abgeordneten und Senatoren, sich auf einen gemeinsamen Gesetzentwurf zu einigen. «Die Zeit des Taktierens ist vorbei», rief er aus. Jetzt sei die Zeit zum Handeln gekommen.

Seitenhieb auf George Bush

Damit lernten die US-Bürger eine neue, schärfere Seite Obamas kennen. Seine gesamte politische Karriere beruhte auf seiner Vision, die ideologischen Gräben zu überwinden und politische Gegensätze im Konsens zu überbrücken. Der bittere Widerstand der Republikaner gegen sein Reformvorhaben hat dem Präsidenten die Grenzen dieses Ansatzes aufgezeigt.

Gewandt an seine «republikanischen Freunde» zog er über die «wilden Behauptungen» von Kritikern her. Der Präsident griff das Gerücht auf, er wolle aus Spargründen auf die Behandlung alter Menschen verzichten: «Solche Vorwürfe wären lächerlich, wenn sie nicht so zynisch und unverantwortlich wären», sagte Obama. «Das sind Lügen, ganz einfach.» Auch einen Hieb auf seinen Vorgänger George W. Bush erlaubte er sich. Der habe mit dem Irak-Krieg und mit Steuernachlässen für Reiche ein größeres Budgetloch gerissen, als es die Gesundheitsreform je tun würde.

Kopfschütteln bei den Republikanern

Die republikanischen Abgeordneten quittierten die Provokationen mit Kopfschütteln. Der Parlamentarier Joe Wilson schleuderte Obama gar ein wütendes «Sie lügen!» entgegen. Dessen eigentliche Zielgruppe dürfte freilich die eigene Partei gewesen sein: Bei den Demokraten kamen die Spitzen gut an, zumindest für diesen Abend schlossen sich die Reihen der zerstrittenen Partei. Eigentlich haben die Demokraten genug Mandate zur Verabschiedung der Reform. Ihr Scheitern droht deshalb, weil nicht alle ihrem Präsidenten folgen wollen.

Für Obama steht mit der geplanten Gesundheitsreform viel auf dem Spiel. Denn der frühere demokratische Präsident Bill Clinton scheiterte mit einem ähnlichen Versuch vor Jahren kläglich. Dass Clinton sein groß angekündigtes Projekt wegen massiven Widerstands kassieren musste, hat ihn viel politische Glaubwürdigkeit gekostet. Damit er selbst nicht in dieser Falle landet, warf Obama in der Rede zur besten Fernsehsendezeit seine ganze Autorität in die Waagschale.

Die Reform bröckelt bereits

Das Kernvorhaben, die privaten Versicherungen durch gesetzliche Kassen zu ergänzen, um auch den 50 Millionen Nichtversicherten eine kostengünstige Grundversorgung zu garantieren, scheint aber schon unmöglich geworden zu sein, zumindest auf absehbare Zeit. Um nicht vollständig zu scheitern, ist der Präsident offenbar zu schmerzhaften Kompromissen bereit. Er sei offen für Alternativen, wenn sie nur den Verbrauchern Wahlmöglichkeiten böten, sagte der Präsident, der das Reformwerk noch in diesem Jahr durch den Kongress bringen will.

Die Einführung gesetzlicher Kassen würde den Staat nach Schätzung des US-Kongresses in den kommenden zehn Jahren Billionen Dollar kosten. Viele Republikaner malen das Schreckgespenst einer sozialistischen Staatsintervention an die Wand. Viele Demokraten, die sich im kommenden Jahr zur Wahl stellen müssen, wollen aus Angst vor einer Abstrafung der Wähler nicht für Obamas Projekt stimmen.

Reformorientierte Demokraten lehnen Kompromisse ab

Doch auf der anderen Seite wollen Demokraten, denen an einer echten Reform liegt, keine Kompromisse mittragen. Die Vorsitzende des Abgeordnetenhauses, Obamas Verbündete Nancy Pelosi, machte am Dienstag nach einem Treffen mit dem Präsidenten klar: Das Fallenlassen gesetzlicher Kassen sei eine Rote Linie, die für Reformer wie sie nicht zu überschreiten sei. Als Kompromiss schlugen einige Parlamentarier kürzlich genossenschaftlich organisierte Krankenkassen vor.

Auch in der Bevölkerung verliert Obama bei seinem wichtigsten innenpolitischen Reformvorhaben weiter an Unterstützung: 52 Prozent der in einer AP-GfK-Umfrage befragten Amerikaner lehnen seine Gesundheitspolitik ab. Die wenige Stunden vor einer Grundsatzrede im Kongress veröffentlichte Erhebung zeigte auch eine Zunahme der Unzufriedenheit mit seiner Amtsführung von 43 auf 49 Prozent.

Deutlicher als die allgemeine Unzufriedenheit wirkte sich die erbittert geführte Diskussion um Obamas Versprechen aus, mehr Amerikanern den Zugang zu einer Krankenversicherung zu ermöglichen. Im Juli waren 43 Prozent mit Obamas Gesundheitspolitik unzufrieden, bis zu der zwischen dem 3. und 8. September bei 1.001 Erwachsenen durchgeführten Erhebung kamen neun Prozent hinzu und ließen die Ablehnungsfront auf 52 Prozent steigen. (afp/ap)