London. Maß-Schuhe, Hüte, Anzüge kennt jeder - doch jetzt hat das Maßband auch die Bademode erfasst. Individuell geschneiderte Bikinis sind der Trend aus London. Die Frauen sind dankbar.

Der Zweiteiler sitzt perfekt: Hier und da versteckt Stoff dezent die Pölsterchen. Auch die Farbe – ein echter Schlankmacher. Nichts geht über britische Schneiderkunst, das wissen die Gentlemen, die sich in der Savile Row seit Generationen feinsten Tweed aufs Leib nähen lassen. Doch hier ist die Rede von Sommeranzügen für Frauen: Maßgeschneiderte Bikinis sind in London der letzte Schrei.

Im Atelier Biondi gibt es zur Begrüßung erst mal ein Glas Champagner, für die Nerven. Schnell runter damit, denn gleich wird's delikat. Schneiderin Sarah Wong rückt mit dem wichtigsten, aber leider auch kompromisslosesten Utensil auf dem Weg zum Wunschbikini an – dem Maßband. Dabei sind nicht nur Körbchengröße und Rückenbreite wichtig. „Wir vermessen alles, was wir für die perfekte Passform brauchen”, sagt sie, „und dazu müssen Kundinnen sich fast vollständig ausziehen.”

Nie sitzt der Bikini passabel

Am Strand mag das leichter fallen, doch selbst dort weht die Urlaubsstimmung selten das Unbehagen fort: Nie ist man nackter in der Öffentlichkeit als im Bikini. Und der sitzt selten passabel. „Zu uns kommen ziemlich viele Frauen, die noch nie einen Bikini gekauft haben – einfach, weil sie's nicht konnten”, erklärt Biondi-Gründerin Claudine Davies. „Passende Zweiteiler sind selbst bei einer Standardfigur die Ausnahme.”

Schon die Standardfigur ist an sich die Ausnahme. Da sind jene Frauen, bei denen die Busengröße nicht zum Po passt und umgekehrt, wo der Bauchspeck übers sommerlich knappe Höschen quillt, der Strandurlaub OP-Narben, Muttermale oder Brustkrebs-Amputationen sichtbar machen würde. Für Sarah, die als Abschlussarbeit ihres Fashion-Studiums eine komplette Bademoden-Kollektion genäht hat, sind diese Fälle kein Problem.

„Wenn man jemanden glücklich machen kann, nur indem man ihm ein paar Schwimmsachen näht, ist das ein schönes Gefühl”, sagt sie. „Optische Illusionen” helfen da ungemein: Ein hoher Beinausschnitt lenkt von Oberschenkelpfunden ab, das üppig dekorierte Top vom unförmigen Po, ein paar Polster hier, ein paar „Kontrollplatten” da, und frau kann sich auch ungeniert in nur ein paar Gramm Stoff zeigen.

Die kleine Wunderwerkstatt

In die kleine Wunderwerkstatt im Stadtviertel Chelsea kommen jedoch nicht nur Verzweifelte, sondern auch Trendbewusste. Aus Hunderten Farben und einem Dutzend verschiedener Bikiniformen können Frauen sich ihr maßgeschneidertes Unikat zusammenstellen. Swarowski-Steine, Perlmuttknöpfe oder der für die Flitterwochen eingestickte Name des Bräutigams, alles ist möglich in dem Kultladen. Dass eine Frau mit ihrem alten, von Sonne, Salzwasser und Chlor zerfressenen Lieblingsbikini vorbeikommt und ein Duplikat will, gehört da noch zu den zahmsten Wünschen.

Mittlerweile schnüffeln Trendscouts vor der Manufaktur herum, halten Fernsehstars hier kurz vor ihrem Trip nach Nizza oder lassen sich Body-Builderinnen für ihren nächsten großen Bühnenauftritt „einkleiden”.

Das Atelier brummt

Das Atelier brummt; mindestens alle zwei Wochen entsteht unter Sarahs Garnspulen, Lycra-Mustern und Nähmaschinen ein neuer Maß-Bikini. Es war wohl auch nur eine Frage der Zeit, bis die „Mode nach Maß” die Badewelt erreicht hat – handgemachte Schuhe, Hüte und Maßanzüge kennt jeder, auch Jeans kann man sich mittlerweile in Londoner Kaufhäusern anfertigen lassen. Stil und Schummelei lassen sich dort, genau wie in der Bikini-Schmiede, kaum trennen.