Ruhrgebiet. Klaus (54) kämpfte um seine Freude an der Arbeit – und verlor gegen den eigenen Körper. Rückenschmerzen, die Bandscheibe, der Ischias. Er ließ sich krank schreiben für einen Tag. Mittlerweile ist ein Jahr daraus geworden. Kein Einzelfall. Acht von zehn Deutschen fühlen sich gestresst.

Sie haben ihm Daumenschrauben angelegt und ihn in einen Strudel geworfen. So fühlte es sich an für Klaus*, „Daumenschrauben” und „Strudel”, es schmerzte und machte ihn schwindelig: „Du kommst da nicht mehr raus.” Er, dem seine Arbeit immer Spaß gemacht hatte, 31 Jahre lang. Er, der Banker, dem die Kunden vertrauten: saß plötzlich „zwischen allen Stühlen”. Dabei kann er gar nicht sitzen. Klaus hat Rückenschmerzen, die Bandscheibe, der Ischias – wörtlich wahr, wenn er sagt: „Die Unruhe geht mir auf den Nerv.” Er ließ sich krank schreiben für einen Tag. Mittlerweile ist ein Jahr daraus geworden.

Und Klaus vermisst seine Leute. Die hinter dem Bankschalter und die davor, er hat doch immer gern mit Menschen gearbeitet, aber seine Chefs, sagt er, am Ende nur noch mit Zahlen. Um „schnelles Geld” sei es gegangen, sie wollten immer noch mehr davon als im vorherigen Quartal. Aber dann versetzten sie auf einmal Leute, zwei von sieben verschwanden aus der Zweigstelle im nördlichen Ruhrgebiet, „jeder Einzelne musste immer noch mehr machen”.

Unter Druck gesetzt

Vielleicht war es nicht einmal so sehr das, was Klaus störte, aber „diese Willkür”, wie er sagt, „diese Ungerechtigkeit”, und er ist doch Betriebsrat! „Der muss sagen, wo der Hase im Pfeffer liegt.” Klaus hat es gesagt, er hatte immer gestritten für seine Sache und „darüber gestanden”, aber diesmal fingen sie an, ihn zu kontrollieren. Setzten sich neben ihn bei Kundengesprächen, da fing es an mit den Schrauben an den Daumen und den Schmerzen im Rücken: „Ich war so stark unter Druck, dass die Gespräche wirklich nicht gut waren.”

Dann war da die Angst, dass die Schmerzen schlimmer werden könnten, dass er dadurch Fehler machen könnte, und diese Angst machte die Schmerzen schlimmer, und er machte Fehler. Mit Tränen in den Augen kam Klaus dann nach Hause, „das ist doch kein Tag”! Am Ende legte man ihm nahe, sich zu verändern, aber die Alternative, die wäre für ihn „das Schlimmste überhaupt gewesen”: ein Arbeitsplatz, wo es keine Kundenkontakte gab, der überhaupt verkauft werden sollte, „keiner wusste genau, wie viele Sekunden man da noch beschäftigt sein würde”.

Klaus hat trotzdem nie gesagt: Ich will nicht mehr. „Nie!” Kann sein, es ist eins seiner Probleme, dass er immer wieder eingestehen muss: „Ich kann nicht mehr.”

Sein Bein wippt unaufhörlich, als er das erzählt. Der Mann wirkt so wütend, als wollte er platzen, aber er weiß gar nicht, dass man das merkt. Auch deshalb natürlich sind diese langen Monate zuhause keine Erholung, „es wird ja nicht besser”. Er hat Nächte, da kann er nur drei, vier Stunden schlafen. Dann steht er auf, läuft herum, aber er denkt nicht: „Ich verdränge.” Früher hat er Sport gemacht und Musik, beides ging nur noch mit Krämpfen und bald gar nicht mehr. Als er aufhörte, „war ich in Tränen aufgelöst”. Nun fehlt ihm das Einzige, was vielleicht helfen könnte: ein Ausgleich.

Eine Krankheit, die keiner sieht

Es ist ein ewiger Kreislauf, Spirale aus Hoffnung und neuen Zielen, aber „die erreichst du nicht”, er hat keine eigenen Mittel mehr, und das macht ihn noch mehr krank. Die Wut, die Angst, und dann die Kinder: Da sind zwei, die gern studieren wollen, „immer dieser Sicherheitsgedanke”! Und überhaupt: Ist man nicht selbst eigentlich verrückt? „Du denkst, du wärst bescheuert”, und andere denken es auch. Man sieht sie ja nicht, diese Krankheit, „besser hast du ein gebrochenes Bein als so eine Geschichte”. Und wie Klaus so grübelt und schließlich selbst merkt, dass er gereizt ist und „nicht mehr normal reagiert”, tut ihm das wieder leid: „Du bewirkst durch deine eigenen Gedanken, dass es immer schlimmer wird.”

Es ist auch in der Klinik nicht besser geworden, in die er ein paar Wochen ging im letzten Jahr. Aber immerhin hat er dort gesehen: Er ist nicht allein. Es gab dort Leute wie ihn, viele und jüngere. Sie haben Klaus geholfen zu verstehen: „Man müsste ehrlicher zu sich sein. Vorher schon sagen, ich brauche Unterstützung!” Aber wann war das, „vorher”? Er hat sie ja nicht bemerkt, die Anzeichen, falls es sie gab. Und er kann sie noch immer nicht benennen. Der Druck, sagt Klaus. Burn-Out? Wer will das wissen. „Stress” sagt er nie. Eigentlich sind es doch nur Rückenschmerzen.

In der Berliner Studie steht: die Stresskrankheit Nr. 1.

*Name geändert