Paris. Sir Alfred war das Vorbild für einen Spielberg-Film. Heute lebt der einst im Flughafen Gestrandete in einem Obdachlosen-Asyl.
„Alfred suchen Sie? – Nein, nein”, schüttelt Jean-Philippe den Kopf, „der lebt nicht mehr.” Der flinke Kellner der Airport-Bar „Le Grand Comptoir” ist sich seiner Sache absolut sicher. So wie die meisten hier im Terminal 1. Klarstellend fügt er hinzu: „Monsieur, er ist gestorben, vor zwei Jahren in einem Pariser Krankenhaus.” Nicht gerade vielversprechend, der Beginn der Spurensuche nach jenem Geheimnis umwobenen Mann, der 2004 Filmgeschichte schrieb: „Terminal” heißt der Kassenschlager, in dem Steven Spielberg die anrührende Geschichte von „Sir Alfred”, wie sich der Mann selbst hoheitsvoll zu nennen pflegt, für ein Millionenpublikum aufbereitet hat. In erstklassiger Besetzung natürlich: Es ist Hollywood-Star Tom Hanks, der den Alfred spielt.
Mit bürgerlichem Namen heißt der „Terminal-Mann” eigentlich Mehran Karimi Nasseri. 18 Jahre, von 1988 bis 2006, verbrachte er auf dem Charles-De-Gaulle-Flughafen von Paris, inmitten der Boutique-Zone des Terminals 1, Halle 5, Ebene 0. Zwischen Copy-Shop, McDonald's und Bye-Bye-Bar, die neuerdings „Le Grand Comptoir” heißt. „Genau dort stand Alfreds Haus.” Der Kellner weist mit hochgezogenen Brauen auf die Nische direkt gegenüber, die von einem mächtigen Betonpfeiler und einer dreifachverglasten Rückseite umfasst ist. „La Maison d'Alfred”, lächelt er ironisch.
Plastiktüten, Säcke, Boxen
In Wirklichkeit war die kleine Welt des berühmten „Terminal-Mannes”, im Laufe der Jahre von unzähligen Fernsehteams dokumentiert, eine höchst übersichtliche Angelegenheit. Sie bestand aus einigen Fed-Ex-Kartons, einem Dutzend prall gefüllter Plastiktüten, Säcken, Boxen, ein paar Gepäckwagen, einer Matte, Decken, dazwischen Unmengen Zeitungen, Illustrierten und Bücher. Sir Alfred Mehran – der Gestrandete. Der einen iranischen Vater und eine englische Krankenschwester zur Mutter hatte, mit dem diktatorischen Schah-Regime in Konflikt geriet, dann in England studierte, in Belgien schließlich als Flüchtling anerkannt wurde, um am Ende einer Odyssee – auch dank verlorener Papiere – wie ein Stück Strandgut auf dem Pariser Airport anzulanden. Ein Pariser Gericht entschied 1992, dass Sir Alfred nicht illegal nach CDG gekommen sei, weshalb man den Staatenlosen auch nicht des Landes verweisen dürfe.
Die meisten im Terminal 1, Boutiquen-Angestellte, Putzfrauen, Stewardessen, sehen Sir Alfred zum letzten Mal im Herbst 2006, danach verliert sich seine Spur im Moloch von Groß-Paris. Von einem gefährlichen Tumor am Kopf ist die Rede, von einer schweren Operation, an deren Folgen er verstorben sein soll. Oder gönnt sich der Promi-Obdachlose etwa längst ein süßes anonymes Leben in der „Ville Lumière”, der schillernden Lichterstadt? Mit den 275 000 Euro, die Spielberg ihm angeblich als Honorar überwies?
Wo ist das Honorar?
„Alfred ist nicht tot, er lebt”, gibt Zahra Toukil zu Protokoll, die Putzfrau, die ihr Reinigungs-Wägelchen über den blitzblanken Granitboden von Terminal 1 schiebt. Über „Emmaus”, jene karitative Organisation des legendären Abbé Pierre, die sich um Abertausende Obdachlose kümmert, wird er gefunden.
In einem „Hotel Social”, einem Obdachlosenhaus auf der belebten „Rue des Pyrenées”, führen sie einen gewissen „Monsieur Alfred” als Dauerbewohner. „Kommen Sie ruhig rein”, sagt der Bewohner von Zimmer 29. Sir Alfreds neue Welt ist eine bessere Abstellkammer, so breit, dass exakt ein Bett reinpasst. Kein Waschbecken, keine Toilette, keine Dusche, aber immerhin: ein Dach über dem Kopf.
Alles ist noch da: die berühmten Fed-Ex-Kartons, die prallgefüllten Plastiktüten, die Säcke und Boxen, die Illustrierten und Bücher, sogar die Lufthansa-Tasche. Einzig der Gepäck-Wagen fehlt. Sir Alfred plaudert drauflos, manchmal etwas zusammenhanglos, zeigt auf dies und zeigt auf das. Auch auf seine Autobiografie: mehrere tausend handgeschriebene Seiten. Um eine kurze Pause einzulegen und diesen überraschenden Satz zu sagen: „Ich will wieder zurück zum Flughafen – lieber heute als morgen.”
Am Airport-Doktor, der sich seit fast 20 Jahren für den Gestrandeten einsetzt, lässt Sir Alfred kein gutes Haar: „Ach, der ist ein Verräter.” Er nimmt dem Mediziner offenbar übel, dass er ihn im Herbst 2006 vom Flughafen ins Krankenhaus brachte und von dort in die Obhut von Emmaus. „Das war Kidnapping”, empört sich der Mann, dessen Heimat wohl immer noch das Terminal ist.