Rebiya Kadeer ist Mutter von elf Kindern und die Stimme der Uiguren. Für die Regierung in Peking ist sie der Sündenbock.
Es war ein beeindruckender Auftritt einer beeindruckenden Frau. Im April 2008 stand Rebiya Kadeer, zurzeit Chinas Staatsfeindin Nummer eins, als Hauptrednerin bei der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte in Bonn am Podium. Die langen Zöpfe über die Schulter geworfen, appellierte die Uigurin vor Beginn der Olympischen Spiele in Peking an die westliche Welt, die Augen vor der politischen Verfolgung und dem kulturellen Völkermord in China nicht zu verschließen und der Eröffnungsfeier fernzubleiben. Damals sprach sie fast unbemerkt von der Öffentlichkeit, heute steht sie im Fokus des Interesses.
Wer ist diese Frau, die die Regierung in China zum Sündenbock abstempelt? Was ist das für ein Mensch, dem Peking zutraut, die blutigen Unruhen in Westchina angezettelt zu haben?
Was für die Tibeter der Dalai Lama verkörpert, ist für die Uiguren Rebiya Kadeer: Sie ist ihre Stimme, ihr Gesicht, ihre moralische Instanz. Sie lebt im Exil in Washington und ist der chinesischen Führung nicht nur als Präsidentin des Uigurischen Weltkongresses ein Dorn im Auge. Dreimal wurde sie für den Friedensnobelpreis nominiert. Für die chinesische Regierung aber ist sie eine Separatistin und Terroristin.
Früher war sie für China die Vorzeige-Uigurin, bekam 1992 einen Sitz in der Volkskammer. Kadeer aber spürte, dass sie als Vertreterin einer ethnischen Minderheit der Regierung als Feigenblatt diente. Das wollte sie nie sein. 1997, als das Militär einen Aufstand der muslimischen Uiguren in Westchina niederschlug, protestierte sie. Das war das Ende ihrer Polit-Karriere. Kadeer verstummte nicht. Friedlich, aber laut machte sie weiter auf die Missstände in ihrer Heimat aufmerksam. In China erleidet das Volk der Uiguren das gleiche Schicksal wie das Volk der Tibeter. Im Gegensatz zu Tibet aber nimmt das in der Welt kaum jemand wahr. Die türkischen Uiguren, seit Jahrhunderten in der Region verwurzelt, verloren nach der Besetzung 1949 durch die Truppen von Mao Tse Tung ihre kulturelle und politische Identität. Immer mehr Han-Chinesen wurden in der Region angesiedelt und machten die Uiguren zu einer Minderheit in ihrer eigenen Heimat, der Region Xinjiang.
Rebiya Kadeer wird nicht müde, darauf hinzuweisen. Gestern forderte sie in Washington eine internationale Untersuchung der Unruhen. „Wir hoffen, dass die UNO, die USA und die EU Ermittler schicken, um zu untersuchen, was wirklich in Xinjiang passiert ist”, sagte Kadeer. Auch hoffe sie auf stärkere Kritik der US-Regierung an Peking. Die chinesischen Vorwürfe, sie und der Uigurische Weltkongress steckten hinter den Ausschreitungen, wies sie zurück.
Rebiya Kadeer ist eine mutige Frau. Fünf ihrer elf Kinder leben noch in China, zwei ihrer Söhne wurden bereits zu Gefängnisstrafen verurteilt. Sie macht sich Sorgen. Am eigenen Leib hat sie erlebt, wie berechtigt sie sind.
Sie hatte bereits sechs Kinder, als sie sich von ihrem ersten Mann trennte. Sie machte sich im Textilhandel selbstständig, am Ende gehörten ihr zwei Kaufhäuser. Sie war eine der reichsten Frauen Chinas, heiratete 1978 den ehemaligen uigurischen Widerstandskämpfer Sidik Rouzi und bekam drei weitere Kinder, zwei adoptierte das Paar. Sie war Vorsitzende der Handelskammer von Xinjiang und ab 1992 Mitglied im Volkskongress. Eine Bilderbuchkarriere – bis zu ihrer Protestrede 1997. Kurz darauf wurde sie aus dem Parlament ausgeschlossen.
Für Menschenrechtsgruppen ist sie das beste Beispiel, wie es einem ergeht, wenn man die politischen Spielregeln in China bricht. 1999 wird Kadeer zu acht Jahren Isolationshaft verurteilt, weil sie Geheimnisse verraten haben soll. In Wahrheit hat sie Zeitungsartikel über die Verfolgung der Uiguren ins Ausland geschickt. 2005 kommt sie auf Druck der damaligen US-Außenministerin Rice frei. Bedingung: Kadeer soll schweigen und das Land verlassen.
Sie reist in die USA aus, schweigt aber nicht. Die kleine Frau berichtet von Höllenqualen, von Folter und Hinrichtungen. Einen Anschlag auf ihr Leben überstand sie, einschüchtern lässt sie sich nicht. „Ohne meinen Glauben an Gott hätte ich nicht durchgehalten”, schreibt sie. Ihr Buch „Die Himmelsstürmerin”, ist ein erschütterndes Dokument. Es ist ihrem Mann gewidmet – und dem uigurischen Volk.