Montpellier. Nur Sekundenbruchteile fehlten Lance Armstrong zur Übernahme der Gesamtführung bei der Tour de France. Armstrongs Team Astana gewann das Mannschafts-Zeitfahren überlegen, aber der Schweizer Fabian Cancellara bleibt vorne.
Der Hunger nach Gelb ist unstillbar bei Lance Armstrong. Die drei Jahre, die er der Tour de France fern geblieben ist, hat er damit verbracht, die gelben Armbänder seiner Stiftung in die ganze Welt zu tragen. Nach Frankreich zurückgekehrt, greift er wie selbstverständlich nach dem Originaltextil mit der gelben Farbe. Seine Astana-Mannschaft gewann gestern das Mannschaftszeitfahren in Montpellier. Armstrong liegt danach zeitgleich mit dem bisherigen Spitzenreiter Fabian Cancellara auf Platz eins der Gesamtwertung. Überziehen darf er das gelbe Leibchen nicht. Cancellara bleibt vor ihm platziert. Doch weil der Schweizer schlecht über die Berge kommt, zählt Armstrong urplötzlich wieder zu den Favoriten.
Seine Astana-Truppe präsentierte sich trotz vorheriger Zwistigkeiten als eine homogene Einheit. Die Wechsel klappten, der gelb-grün-blaue Zug schoss durch die Landschaft des l'Herault. Nur der Schweizer Gregory Rast musste früh dem Tempo seiner Kollegen Tribut zollen und abreißen lassen.
Astana lieferte sich ein Fern-Duell mit Garmin-Slipstream. Für das US-Team stellte das Mannschaftszeitfahren den Höhepunkt der Tour de France dar. „Wir lieben diese Disziplin. Denn hier kann jede Mannschaft beweisen, welcher Geist in ihr steckt”, schwärmt der Brite David Millar. Doch den besseren Mannschaftsgeist wies an diesem Tage ausgerechnet Astana auf. 18 Sekunden waren die mit kasachischen Erdöldollars bezahlten Legionäre schneller als Garmin. 40 Sekunden holten sie auf Saxo-Bank heraus.
Mit den Mannen von Bjarne Riis lieferten sie sich einen Kampf um Millimeter und Sekunden. Nach der zweiten Zeitnahme war Armstrong bis auf zwei Sekunden an Cancellara herangekommen, nach der dritten hatte er die virtuelle Führung um exakt eine Sekunde inne. Im Ziel dann Gleichstand. Die Hundertstelsekunden aus dem Prolog von Monaco gaben den Ausschlag – für Cancellara.
Columbia konnte nicht mithalten
Nicht ganz mithalten konnte dieses Tempo die internationale Jugendgruppe von Columbia HTC (Platz 5). Tony Martin verlor die Position als Gesamtzweiter. Das Ziel des Thüringer Polizeimeisters ist das weiße Trikot des besten Nachwuchsfahrers.
Der Mann, dessen Bewegungsablauf viele Beobachter an den des jungen Jan Ullrich erinnert, „soll lernen, wie man sich bei einer Rundfahrt bewegt”, erklärt Columbia-Sportdirektor Rolf Aldag. „Dazu ist der Kampf ums weiße Trikot gut geeignet. Tony soll sich am Italiener Vincenzo Nibali und dem Tschechen Roman Kreuziger orientieren”, sagt Aldag.
Milram-Kapitän Linus Gerdemann fiel aus den Top Ten heraus. „Konzentriert fahren”, hatte er als Devise für seinen blauen Milchmänner-Express ausgegeben. Doch seine Teamgefährten hielten sich nicht daran. Auf dem Anfangsstück stürzte der Niederländer Niki Terpstra, kurz vor Schluss noch Markus Fothen. Das deutsche Tourwunder ist nach einem Tag schon so gut wie vorbei. Die alten Verhältnisse sind wieder hergestellt.
Armstrong liebäugelt
Armstrong liebäugelt trotz der verpassten Chance weiter mit dem Maillot Jaune: „Es wäre zwar extrem cool, aber wenig realistisch.” Die Aufregung um die Attacke vom Montag, als Contador den Anschluss verloren hatte, versteht der Texaner nicht. „Mich überrascht die Berichterstattung, das Drama, das kreiert wird, nur weil einer ein bisschen clever gefahren ist”, meinte Armstrong.
Nach dem Teamzeitfahren dürfen am heutigen Mittwoch auf der 5. Etappe wieder die Sprinter mit einer Massenankunft rechnen. Nach dem Startschuss im Badeort Cap d'Agde, geht es auf überwiegend flachem Terrain weiter Richtung spanischer Grenze. Bis zum Ziel in Perpignan stehen lediglich zwei Bergwertungen der vierten Kategorie auf dem Programm.