Düsseldorf/Viersen. Trotz Warnung der Gutachter konnte das Gericht einen mutmaßlichen Sexualstraftäter nicht länger festsetzen. Es ist der dritte Fall in kurzer Zeit.
Gefühlt ist der Untersuchungshäftling, den das Landgericht Mönchengladbach am Mittwoch gehen lassen musste, „schon wieder” ein Sexualstraftäter, der frei herumläuft. Denn die Nachricht von einem entlassenen (mutmaßlichen) Kinderschänder ist im Westen NRWs in diesem Jahr nicht die erste. Ende Mai erst meldete ebenfalls Mönchengladbach einen einschlägig Verurteilten, der nach neun Jahren Haft frei kam. Das Landgericht hatte eine nachträgliche Sicherungsverwahrung abgelehnt, obwohl Gutachter die Gefahr eines Rückfalls hoch einstuften und der 38-Jährige selbst sexuelle Gewaltfantasien einräumte. Er kehrte freiwillig ins Gefängnis zurück, um seine Therapie fortzusetzen.
Zuvor hatte in Heinsberg die Geschichte von Karl D. Schlagzeilen gemacht: Der 57-Jährige war Anfang März nach 14-jähriger Haft in Bayern zu seinem Bruder nach Randerath gezogen. Auch ihn hatte ein Gericht nicht in Sicherungsverwahrung genommen, obwohl ihm eine erhebliche Wiederholungsneigung attestiert worden war – in der Haft hatte der Mann keine Reue gezeigt und Therapien verweigert. Karl D. hatte mehrere Mädchen brutal vergewaltigt.
Im Fall Viersen ist das keinesfalls rechtskräftig bewiesen. Aber auch hier steht Missbrauch in 19 Fällen in den Akten, „Handlungen” schreiben Staatsanwälte, was eine kühle Worthülle ist für das tatsächliche Entsetzen: „Geschlechts- und Oralverkehr”, sagt ein Sprecher des Landgerichts, „richtig massiv.” Und die Kinder waren klein: fünf Jahre alt das jüngste, zwölf das älteste, drei von ihnen wagten sich im August 2008 zur Polizei – da sollen die Übergriffe schon über zwei Jahre gelaufen sein. Und auch davor war der mutmaßliche Täter kein unbeschriebenes Blatt: Nach Erkenntnissen der Ermittlungskommission war er schon mehrfach „wegen sexueller Kontakte mit Kindern” in Erscheinung getreten, deshalb auch bestraft worden.
In der Nachbarschaft in Viersen-Süchteln, in der er sich offenbar seine Opfer suchte, war der 58-Jährige durch besondere Kinderliebe aufgefallen, hatte sich als „Beschützer” besonders der kleinen Mädchen in Szene gesetzt – bis zwei Mütter Verdacht schöpften. Die Polizei hatte den mutmaßlichen Täter damals bereits im Blick: Sie ermittelte wegen Missbrauchs einer Sechsjährigen und Besitzes kinderpornographischer Bilder gegen ihn.
Die Nachricht seiner Freilassung aus der U-Haft, war im Viersener Rathaus bis Donnerstagnachmittag „noch nicht so recht angekommen”; der Landrat des Kreises wurde im Urlaub informiert. „Wir werden das sehr genau beobachten”, erklärte ein Sprecher, man habe „Maßnahmen ergriffen”. Der Landrat aus Heinsberg hatte im Fall Karl D. die Öffentlichkeit von sich aus informiert und vor dem Straftäter gewarnt.
Die Kreispolizeibehörde Viersen erklärte gestern, man habe „sofort nach Bekanntwerden der geplanten Entlassung des Verdächtigen alle notwendigen Maßnahmen zum Schutze der bekannten Opfer sowie seines sozialen Umfelds ergriffen”. Bereits vor einigen Tagen, so eine Sprecherin zur WAZ, habe man die Eltern der Kinder „informiert und besonders sensibilisiert”, sie seien auf eine mögliche Konfrontation mit dem Mann vorbereitet worden. Reagiert hätten sie „überrascht, aber gefasst”. Ob der Freigelassene überwacht wird, wollte die Polizei nicht sagen: „Aber wir stehen im Kontakt zu ihm.”
In Heinsberg hatten die Bürger im Frühjahr spontan gegen den zugezogenen Sexualtäter demonstriert. Bis heute halten sie tägliche Mahnwachen ab; die Polizei bewacht sein Haus rund um die Uhr. Dabei hatte Karl D. seine Taten an seinem früheren Wohnort in Bayern begangen – im Viersener Vorort Süchteln könnte der jetzt entlassene Verdächtige wieder auf die Kinder treffen, die ihn vor Monaten angezeigt hatten.