Berlin. 72 Tage vor der Stimmabgabe lädt der Bundeswahlausschuss nach Berlin, um jenen den Puls zu fühlen, die aus Unzufriedenheit über die etablierten Parteien oder purem Sendungsbewusstsein ihr eigenes Ding machen wollen. Schnell trennt sich die Spreu vom Weizen.

Matthias Jürgens ist Spreu. Der Bundesvorsitzende der BPD, der „Bürger-Partei Deutschland”, sitzt mit erröteten Wangen ganz hinten im Versammlungssaal des Marie-Elisabeth-Lüders-Haus des Bundestags. Gleich wird Bundeswahlleiter Roderich Egeler ihm mit dem Standardfragen-Instrumentenkasten kommen. Um zu ergründen, ob die BPD und das Parteiengesetz übereinander zu kriegen sind. Sind sie nicht. Beim letzten Parteitag waren fünf Delegierte anwesend. Drei davon heißen mit Nachnamen so wie der Bundesvorsitzende. Die „Bürger-Partei Deutschland” – ein Familienbetrieb. Abgelehnt.

Im Unterholz der Demokratie

Es ist nicht die einzige Szene aus dem Unterholz der Demokratie, die an diesem Freitagvormittag Teilnehmern wie Beobachtern der politischen Castingshow ein Schmunzeln entlockt. Der Drang zur Kleinstpartei, sei es die mit einem sektenhaften Weltanschauungstypus, sei es die humoristische Antipartei-Partei (die „Bergpartei” will für jeden gefällten Baum ein Auto abwracken) oder die Ein-Themen-Parteien von Tierschutz, Bibelfestigkeit bis Rentnersein, ist zwar ungebrochen groß. Aber nicht jede Gruppierung kann, wie es das Parteiengesetz verlangt, den Beweis liefern, gefestigt zu sein und dauerhaft auf die politische Willensbildung des Volkes Einfluss nehmen zu wollen.

Volker Stoi, zum Beispiel, hat damit gar nichts am Hut. Der „Imperator” und Bundesvorsitzende der „Anarchistischen Pogo-Partei”, die sich dem Wohlergehen der „nicht arbeitenden Bevölkerung” verschrieben hat, räumt freimütig ein, dass beim letzten Parteitag zwölf Mitglieder aus vier Landesverbänden zusammenkamen. Die Pogo-Kollegen aus Sachsen und Brandenburg mussten passen. Sie befänden sich „im Untergrund”. Im wo? Abgelehnt.

Wahlziel: "SPD plus x"

Norbert Gravius, Schatzmeister der „Partei für Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz, Elitenförderung und basisdemokratische Initiative”, deren Boss der ehemalige Chefredakteur einer einst führenden Satirezeitschrift ist, macht die wohl bräsigste Figur des Tages. Er kann keine Frage ernsthaft beantworten („Ich würde sagen, es gibt uns in der Tat”) und bilanziert am Ende über sich und die Seinen, die als Wahlziel die Formel „SPD plus x” angegeben haben: „Ich bin entsetzt!” Auch abgelehnt.

Roderich Egeler erträgt die Flapsigkeit ebenso gelassen wie die Beisitzer aus SPD, CDU & Co. Antrag für Antrag wird bewertet und beschieden. Oft sind die Partei-Oberen gar nicht erst angereist. Ahnend, dass sie wie die „ÜberPartei” einen Korb kriegen. Andere sind dagegen mit Eifer bei der Sache und reden sich doch um Kopf und Kragen. Ein Herr namens Krause, der sich als Bundesvorstand der erst vor drei Monaten gegründeten „Partei-Interim” (Pi) vorstellt, mosert laut, dass es nichts zu trinken gebe. Überhaupt, Krause will nicht einsehen, dass es nichts werden wird mit seiner Partei, von der nicht mal die Mitgliederzahl bekannt ist. „Wir erheben Einspruch!”, ruft er.

Warum so viele Rentner in die Politik wollen?

Grünes Licht erhielt dagegen die „Rentner-Partei-Deutschland”, obwohl die erforderlichen Nachweise erst vor zwei Tagen per Fax in Berlin eingetrudelt waren. Nicht zu verwechseln übrigens mit der „Rentnerinnen- und Rentner-Partei” (RRP), den „Grauen” oder der Partei „Auch wir sind das Volk: Die Rentner.”

Warum so viele Rentner in die Politik wollen? RRP-Chef Helmut Polzer liebt Klartext: „Wegen des Geldes.” Aber das gibt es doch erst ab 0,5 Prozent Stimmenanteil. „Warten Sie mal die Wahl ab. . .”