Essen. Jetzt könnte es passieren, dass sich der Widerstand im Iran nicht mehr nur gegen die Regierung Ahmadinedschad richtet, sondern gegen das gesamte System - glaubt der Politikwissenschaftler Dr. Jochen Hippler von der Universität Duisburg-Essen.
Herr Hippler, ist die iranische Opposition so stark, wie sie auf den Bildern aussieht?
Jochen Hippler: Wenn es nur um das Denken geht, um die Unzufriedenheit mit dem Regime, dann ist die Opposition sehr breit. Fragt man aber, wie organisiert und handlungsfähig diese Opposition ist, dann wirkt sie eher schwach. Die Parteien sind nicht viel mehr als Netzwerke aus Intellektuellen – auf dem Land sind sie kaum vertreten.
Kann man schon sagen, wer sich am Ende durchsetzen wird – Ahmadinedschad oder Mussawi?
Hippler: Nein. Aber ganz sicher markieren diese Wahlen einen Wendepunkt. Der Betrug ist ja mit Händen zu greifen. Und weil jeder weiß, dass das Ergebnis nicht stimmen kann, fühlen sich die Menschen nicht nur betrogen, sondern auch noch verhöhnt. Möglicherweise hat das zur Folge, dass gemäßigte Oppositionelle, die bislang versucht haben, innerhalb des bestehenden Systems Veränderungen durchzusetzen, sich nun gegen das ganze System wenden. Aber man muss abwarten.
Die Prüfung der Wahl obliegt nun dem Wächterrat. Was ist von ihm zu erwarten?
Hippler: In diesem Gremium gibt es eine Mehrheit für Ahmadinedschad. Wenn der Wächterrat frei entscheiden kann, wird er das Ergebnis abnicken. Aber wenn der Druck von der Straße hoch bleibt und vor allem bei den hohen Geistlichen Bedenken laut werden, dann hat der Wächterrat ein Problem.
Was soll der Westen tun? Die Bundesrepublik und andere Länder haben Zweifel am Wahlergebnis geäußert, aber vorsichtig.
Hippler: Das gegenwärtige Verhalten ist ganz richtig. Es ist richtig, auf die Einhaltung der Menschenrechte zu bestehen. Aber die westlichen Länder dürfen sich nicht offen hinter die Demonstranten stellen. Die Propaganda wird ohnehin versuchen, die Oppositionellen als Agenten des Westens, vor allem der USA darzustellen. Man darf dieser Propaganda nicht in die Hände spielen.
Interview: Achim Beer