Rom. Italiens Polizei bringt immer mehr Paten hinter Gitter. Jetzt übernehmen teilweise deren Ehefrauen, Mütter und Schwestern das Kommando.
Mafiaboss Salvatore Miceli (63) aus Salemi in Westsizilien sah sich eigentlich sicher untergetaucht. Ständig war er in Sachen Kokainhandel in Amerika unterwegs. Wiederholt wechselte Miceli das Hotel. Sein Aussehen hatte er verändert. Ohnehin war das letzte Fahndungsfoto von ihm 16 Jahre alt. Karabinieri aus seiner Heimat erkannten ihn trotzdem und folgten ihm unauffällig. Vier Tage später, in Zusammenarbeit mit Interpol, stellten sie den seit 2001 Flüchtigen – in Caracas in Venezuela, als er im Morgengrauen ein Luxushotel verließ. Schon auf der Polizeiwache gab der Boss kleinlaut auf und nannte seinen wahren Namen.
Spezialeinheiten gegen die Top-30-Mafiosi
Und so ging dieser Tage wieder ein ganz großer Fisch ins Netz, einer der 30 meistgesuchten Mafiosi Italiens. Gegen sie sind Spezialeinheiten im Einsatz, die mit technischen Raffinessen aller Art und unter Einsatz beträchtlicher Staatsgelder auf Fahndungserfolge hinarbeiten. „Nie zuvor haben die Ordnungskräfte so außerordentliche Ergebnisse erzielt”, sagt stolz Italiens Polizeichef Antonio Manganelli. Seit 2008 wurden fast 3000 Verdächtige der organisierten Kriminalität festgenommen. Dazu gehören neun der Meistgesuchten. Mafiavermögen im Wert von fast vier Milliarden Euro – darunter Villen, Luxusautos, Ländereien und dicke Bankkonten – wurde beschlagnahmt.
Die Ermittler glauben, dass Miceli in den letzten Monaten einen Sprung nach vorn gemacht hat, über Siziliens Cosa Nostra hinaus, und jetzt auch mit Kalabriens gefährlicher 'Ndrangheta zusammengearbeitet hat. So fiel der Pate auf, weil er verstärkt zwischen Kolumbien, Venezuela und den USA hin- und herreiste. Von dort telefonierte er mit mutmaßlichen Mitgliedern seines sizilianischen Clans, die von den Behörden abgehört wurden. Das brachte die Ermittler auf die richtige Spur.
Sizilianische Cosa Nostra ist geschwächt
Mit diesem Fang erscheint gerade die klassische „Mafia aller Mafias” in Sizilien noch mehr geschwächt. Seit den verheerenden Bombenmassakern im Jahr 1992 auf die Cosa Nostra-Jäger Giovanno Falcone und Paolo Borsellino gingen immer mehr Bosse der Polizei ins Netz. Viele wurden aus unterirdischen Kellerverstecken geholt, andere wie Miceli im Ausland gefunden, etliche im benachbarten Spanien.
In mancher Mafiagegend haben, auch das dokumentieren Festnahmen, fast nur noch Frauen das Sagen – nämlich Ehepartner, Mütter und Schwestern inhaftierter Mafiosi. Die Kuppel, die einstige Dachorganisation, sei längst zerschlagen, sagt Italiens nationaler Antimafia-Staatsanwalt Pietro Grasso: „Cosa Nostra scheint ohne Struktur zu sein.” Höchstens noch zwei oder drei der steckbrieflich Supergesuchten könnten es schaffen, die „ehrenwerte Gesellschaft” wieder zu sammeln, meint Grasso.
Geschäftsleute wehren sich gegen Schutzgelder
Erste Folgen der Mafiaschwäche: Immer mehr Sizilianer ducken sich nicht mehr, Geschäftsleute zeigen ohne Scheu Schutzgelderpresser an. Der Arbeitgeberverband wirft sogar Mitglieder hinaus, die weiterhin „il pizzo”, das Schutzgeld, an Mafiosi zahlen. Auch bei öffentlichen Ausschreibungen haben Paten immer seltener Chancen. „Heutzutage ist es möglich, ein großes Bauprojekt ohne Mafiadruck in Angriff zu nehmen”, sagt Ivan Lo Bello, Vorsitzender des Arbeitgeberverbandes Siziliens.
Die gefährlichste Großorganisation, da sind sich Experten einig, ist heute Kalabriens Mafia. 80 Prozent des Kokainhandels der Welt läuft über sie. Aber auch im neapolitanischen Raum, wo die kräftig zersplitterte Camorra über Caserta bis ins römische Latium hinein mit Kleinbanden arbeitet, liegt noch vieles im Argen. Auch dort hat der Staat aufgeholt. Ihre Gelder legen all diese Mafiosi, wie früher die Cosa Nostra, am liebsten weiter nördlich an – in Deutschland ebenso wie in Italien. Staatsanwalt Grasso: „Schon am Tag nach dem Mauerfall in Berlin 1989 wiesen abgehörte Telefongespräche darauf hin, dass die Camorra am Werk war. Sie gab Order, schnellstens in Ostberlin Diskotheken, Esslokale und Hotels zu kaufen.”