Solingen. Verschleppt und vergewaltigt: Drei Tage musste eine schwangere 16-Jährige leiden, bevor sie sich befreien konnte.
Zwei Einfamilienhäuser, zwei Haustüren, zwei Väter, die sie öffnen – zwischen ihnen nur ein Wäldchen – und Welten. Der eine ist der Vater von Janine, der 16-Jährigen, die drei lange Tage verschwunden war, verschleppt und vergewaltigt. Er sagt, weiter werde Janine jetzt nichts mehr erzählen, der Opferschutz habe abgeraten. Der andere ist der Vater des Mannes, der ihr das angetan haben soll. Er zeigt die offene Wohnung im Obergeschoss: die verwahrlosten Räume seines Sohnes. Hier fanden Polizisten Janines Schultasche. Hier fanden sie Werkzeug zum Fesseln. Hier fanden sie Kleider, die die Schülerin tragen musste. Es ist der Tag nach ihrer Flucht. Wäre das Wäldchen nicht, man könnte von Haustür zu Haustür gucken.
Polizei glaubte zunächst an „normale Vermisste”
Dieser Vorort von Solingen heißt Wald aus guten Gründen. Über einen Trampelpfad führt der Schulweg des Mädchens, 200, höchstens 300 Meter weit – genug für den Täter, um zuzugreifen. Janine von hinten Messer und Strick an den Hals zu legen, gleich ein Kleidungsstück darüber und seinen Arm, dass niemand sieht, dass dies kein freiwilliges Pärchen ist. Am Donnerstag ist das um halb neun, seither blieb Janine verschwunden, für die Polizei zunächst nur eine „normale Vermisstenmeldung”.
Für die Familie nicht: Denn die Eltern wissen, dass ihr Kind nicht einfach so wegbleiben würde, der Freund weiß es auch, nicht an diesem Tag! Denn nach der Schule hatte die 16-Jährige, im vierten Monat schwanger mit einem „Wunschkind”, wie der Staatsanwalt sagt, ihren ersten Ultraschalltermin, sie freute sich darauf. Aber erst als die Mutter am Freitag auf der Wache weinend zusammenbricht, schickt die Polizei Bereitschaftskräfte, Hubschrauber und einen Hund. Ohne Erfolg.
Dabei hockt Janine nur diesen Steinwurf entfernt in der Wohnung des 28-Jährigen, der sie, wie sie erzählt, mit dem Tode bedroht, der sie fesselt und ihr sagt: Sie sei jetzt auf Dauer seine Gespielin. Und das Mädchen schreit nicht um Hilfe, „sie wusste ja nicht, ob jemand in der Nähe war”, erklärt Staatsanwalt Wolf-Tilman Baumert: Die Eltern unten im Haus, nicht einmal durch eine Tür getrennt, wollen nichts mitbekommen haben. Mit „mehrfacher Vergewaltigung in besonders schwerem Fall” begründet der Staatsanwalt später den Haftbefehl, ärztliche Untersuchungen hätten „deutliche Merkmale für Gewalt” ergeben. Die „gute Nachricht” aber sei: „Der Fötus wurde nicht in Mitleidenschaft gezogen.”
Und das, obwohl die werdende Mutter nach eigener Aussage immer wieder missbraucht wird, auch nachts gefesselt bleibt. Nur Sonntagmorgen nicht: Da muss der arbeitslose Mann plötzlich zu einer Familienfeier, in der Eile fixiert er sein Opfer nicht und verriegelt nicht die Tür. Die Polizei nimmt ihn später auf der Konfirmation seines Neffens fest, seither schweigt er. Janine aber flieht, in die Arme ihrer Eltern, in die ihres Freundes, der mit im Haus wohnt – nur wenige Schritte entfernt.