Wuppertal. Über drei Tage lang hielt im Mai ein 29-Jähriger aus Solingen eine schwangere Schülerin in seinem Zimmer gefangen. Immer wieder vergewaltigte er die 16-Jährige, die er auf ihrem Schulweg entführt hatte. Am Dienstag begann in Wuppertal der Prozess gegen Stefan G.

Jörg S. ist wohl, was man einen gestandenen Mann nennt. 45 Jahre alt, Lkw-Fahrer, groß gewachsen, der athletische Typ. Einer, den nichts so schnell aus der Fassung bringt. Aber als an diesem Dienstagmorgen Stefan G., der Mann, der seine 16 Jahre alte, schwangere Tochter Janine entführte und drei Tage lang immer wieder missbrauchte, den Schwurgerichtssaal des Wuppertaler Landgerichts betritt, da hat Jörg S. schwer zu kämpfen.

Mit starrem Blick und ringenden Händen verfolgt er, wie die Staatsanwältin die Anklage verliest; still hört zu, als der Angeklagte mit hängenden Schultern stockend seine Adresse nennt, leise erwähnt, dass er Verkäufer gelernt hat, zuletzt bei einer Zeitarbeitsfirma beschäftigt gewesen sei. Stefan G. wirkt sehr bleich und sehr jung für seine 29 Jahre, trotz des bereits schwindenden Haars. Er trägt Kinnbart und Jeans, ein weißes T-Shirt, ein leuchtend blaues Jackett. Und er verspricht, er werde aussagen. Ja, er gebe alles zu.

Viel "Rabatt" ist nicht drin

Das werde natürlich strafmildernd wirken, sagt Ulrich Krege, der Vorsitzende Richter. Um anzufügen, Stefan G. solle sich keine allzu große Hoffnungen machen: Viel „Rabatt” sei nicht drin – „bei der Schwere der Beschuldigungen”. Im Falle einer Verurteilung drohen dem 29-Jährigen bis zu 15 Jahren Haft, möglicherweise auch anschließende Sicherheitsverwahrung.

Tatsächlich rast die Staatsanwältin durch ihre Anklageschrift, als ob sie selbst nur ungern höre, was sie alles an grausigen Details zusammengetragen hat: Am Morgen des 7. Mai, so heißt es da, habe Stefan G. in Solingen Janine auf ihrem Schulweg überfallen. Er habe sie zu Boden gerissen, ihr einen Strick um den Hals gelegt, sie mit einem Messer bedroht und in sein Zimmer im Dachgeschoss des nahegelegenen Hauses seiner Eltern verschleppt. Dort habe er die Gymnasiastin in den folgenden 72 Stunden mehrfach zu brutalem Sex gezwungen, sie gebadet und rasiert, ihr immer wieder mit dem Tod gedroht. Brauchte er das Mädchen gerade nicht, fesselte er es an einen Stuhl, nachts an sein Bett.

Sie schrie vor Schmerzen

Dass die 16-Jährige bei der Vergewaltigung schrie vor Schmerzen, hielt ihn nicht auf. Dass sie ihm mitteilte, sie sei im vierten Monat schwanger mit dem Baby ihres festen Freundes, wohl auch nicht. Sie gehöre nun ihm, erklärte Stefan G., nie wieder werde er sie gehen lassen. Erst am 10. Mai gelang Janine die Flucht. Als Stefan G. von seiner Mutter gerufen wurde, man müsse zur Konfirmation des Neffen, das Taxi warte bereits, vergass er, sein Opfer erneut zu fesseln. Als er fort war, floh Janine. Um 7.30 Uhr klingelte sie an der Haustür daheim – keine 400 Meter entfernt vom Haus ihres Peinigers. Noch auf der Familienfeier in Hückeswagen wurde Stefan G. festgenommen.

Das mutmaßliche Wohnhaus, in welchem die 16-jährige Janine S. mehrere Tage sexuell misbraucht wurde. Fotos: ddp
Das mutmaßliche Wohnhaus, in welchem die 16-jährige Janine S. mehrere Tage sexuell misbraucht wurde. Fotos: ddp © ddp

„Ich hatte nicht gehofft, sie lebend wieder zu bekommen”, sagte Janines Vater damals dem Solinger Tageblatt. Am Dienstag schweigt er, bittet über Janines Anwalt, Hendrik Prahl, nur darum, die Öffentlichkeit für die Vernehmung des Angeklagten auszusperren – um Janines Intimsphäre zu schützen. Keiner der Prozessbeteiligten hat Einwände.

"Jetzt kocht alles wieder hoch"

Bis zum frühen Abend dann schildert Stefan G., der sich bislang einzig dem Gutachter offenbart hatte, wie er Janine, die er eigentlich gar nicht als Opfer gewollt hatte, überfiel und was danach in seinem Zimmer geschah. Detailliert und bereitwillig beantwortet er alle Fragen des Richters und der Anwälte. Bereits nach der ersten halben Stunde muss Jörg S. mit verweinten Augen den Sitzungssaal kurz verlassen. Am Schluss erklärt die Kammer: Janine werde nicht mehr gehört werden müssen. Jörg S. darf endlich aufatmen. Für ihn sei dieser Tag „sehr, sehr schwierig”, erklärt Anwalt Prahl. Zwar gehe es der mittlerweile hochschwangeren Janine „den Umständen entsprechend ganz gut” und die Familie halte zusammen. Aber mit Beginn des Prozesses „kocht halt alles wieder hoch”.

Offen bleibt am Ende des ersten Prozesstages vor allem die Frage nach dem Motiv des Angeklagten. Stefan G. selbst gibt auf diese eine Frage stoisch keine Antwort. Vielleicht, so sein Verteidiger, Karl-Hermann Lauterbach, könne das auch nur der Sachverständige.