Kaltgelassen hat er das Publikum nie. An Regisseur Dietrich Hilsdorf, der am Aalto-Theater unter anderem legendäre Verdi-Deutungen inszeniert hat, scheiden sich die Geister. Lang scheute er Wagner, Sonntag hat „seine” Walküre Premiere. Ein Gespräch über Götter, Milliardäre und Provokation.

Ihr zweiter Wagner überhaupt, Ihr erster in Essen. Wo werden Sie sein während der Premiere?

Hilsdorf: Ich kann mir meine Premieren nicht ansehen. Ich gehe mit dem Bühnenbildner schwimmen, natürlich gegen den Strom.

Sie haben sich eine Ewigkeit bitten lassen, als Regisseur Wagner zu inszenieren.

Ich habe 20 Jahre gesagt: Danke, aber ich kann das nicht! Wagner kam mir hermetisch vor, unangenehm abgeschlossen, auch wegen der Einheit von Text und Musik. Ich dachte Mozart und Verdi, mit denen kann ich reden, aber Wagner. . .

Der Wiesbadener Generalmusikdirektor hat Sie dann in seinen Sportwagen gesetzt, um Sie für „Tristan und Isolde” zu gewinnen?!

Ja, er hat beschleunigt und dazu laut Tristan aufgedreht.

Haben Sie etwa zugesagt, damit er den Wagen anhält?

Nein! Ich fahr ja selbst wahnsinnig gern schnell, In Flensburg habe ich immer zwischen 14 und 17 Punkte. Ich fahre schnell, aber defensiv.

Sie inszenieren die „Walküre”: Göttervater Wotan lässt seine Kinder zum Paar werden, lässt sie ein Kind zeugen, den Kindsvater töten. Was für eine Geschichte!

Es gibt ein Buch: „Gott – eine Karriere”, ein vielsagender Titel. Und es hat kürzlich ein Interview mit einem Sohn des schwäbischen Großindustriellen Merckle gegeben. Darin hat er erzählt, wie ziellos sein Vater, der Milliardär, das Firmenimperium vergrößert hat. Und er hat von einer Kultur der Sprachlosigkeit berichtet, die daheim herrschte. Das waren Dinge, die meinen Blick auf diese Familiengeschichte mitbestimmt haben. Man wird in dieser Walküre auch Personen sehen, die nie etwas sagen, über die nur geredet wird. Man könnte so eine Geschichte auch in der Villa Hügel spielen lassen.

Eine ökonomisch grundierte Familientragödie?

Die Kinder, die wir da sehen, hat Wotan gezeugt, um einen Plan zu erfüllen. Familie wird dem Geschäft und der Strategie untergeordnet.

Freunden wie Feinden Ihrer Arbeit fällt bei Ihrem Namen Provokation ein.

Nach „Tristan” habe ich meine 94-jährige Mutter angerufen und ihr gesagt: „Mama, die haben wieder gebuht!” Da hat sie gesagt: „Ach, das haben Sie doch schon vor 20 Jahren gemacht.” Aber im Ernst: Für mich ist das heute gar kein so großes Thema. Rückblickend sage ich: Ich habe das ja alles massenweise hinter mir. Das muss ich nicht mehr machen. Ich hab Männer ausgezogen, und Frauen, die sich gern ausgezogen hätten, angezogen gelassen. Aber ich hab nie vorsätzlich provoziert, ich hatte nie das Gefühl, jetzt muss ich mal auf die Kacke hauen.

Aber es funktioniert im Theater, vor allem bei Sexualität und Religion.

Der Autor Brendan Behan hat über eines seiner Stücke gesagt: „Eine Abendunterhaltungen über Sex, Politik und Religion, alles andere ist sowieso nicht der Rede wert.”

Manche nennen es Altersstil, dass ihre Regie weniger scharf und schrill ist.

Altersstil ist für mich ein komisches Wort, aber wenn man älter wird, dann wird man vielleicht genauer und damit gerechter. Ich hau' den Leuten die Sachen heute nicht mehr so vor die Schnauze. Wenn man älter ist, weiß man mehr, man interessiert sich noch mehr für alle Parteien.

Wir können uns des Eindrucks nicht erwehren, dass jüngere Regisseure mit ihrem Provokations-Bauchladen auf die schnelle Schlagzeile im Feuilleton zielen?

Da haben Sie Recht. Ein Intendant sagte neulich zu mir: Es gibt eine Generation von Regisseuren, die muss man überspringen. Macbeth mit Waschmaschine – ich kann damit wenig anfangen.

Sind Wagners Opern gute Geschichten?

Das unterscheidet Wagner nicht sehr von Hollywood: Da, wo Geld verdient wird, geht es nur mit guten Geschichten.

Das Gespräch führten Dirk Aschendorf und Lars L. von der Gönna