Essen. Altenpfleger und Altenpflegerinnen sind gefragt. Doch die Arbeit ist hart. Viele kritisieren auch die Arbeitsbedingungen. Für eine bessere Bezahlung sollen nun Mindestlöhne sorgen.
Britta M.* arbeitet in einem Pflegeheim irgendwo in NRW. Sie hat Feierabend. Wie ihr Tag so war? „Das war heute mein achter Dienst am Stück. Ich bin ehrlich geschafft. Wir sind zu dritt für 26 Bewohner. Ich habe 45 Minuten, um drei, vier Bewohnern Frühstück zu geben und weitere vier, fünf so zu lagern, dass sie alleine essen können. Da wird schon mal schnell noch ein Löffel nachgeschoben oder der Schnabelbecher länger am Mund gehalten, als der alte Mensch schlucken kann.”
Britta M. arbeitet in d e m Beruf der Zukunft. So preisen ihn zumindest die Parteien in ihren Wahlprogrammen. Eine Million Arbeitsplätze im Gesundheits- und Pflegesektor verspricht etwa die SPD bis 2020. Doch damit beschreibt sie nur die Folge der alternden Gesellschaft: Immer mehr Menschen werden krank und pflegebedürftig, also braucht es mehr Menschen, sie zu pflegen. Die entscheidende Frage aber beantwortet keine Partei: Wenn die Stellen schon von allein entstehen – wie sorgt man dafür, dass es anständig bezahlte, begehrte Arbeitsplätze werden und nicht unterbezahlte Knochenjobs?
Altenpfleger gesucht
Schon heute werden Altenpfleger händeringend gesucht: Im August blieben allein in NRW 2520 Stellen offen. Dass diese Zahl ständig steigt, zeugt nicht nur vom wachsenden Markt, sondern auch von häufigen Jobwechseln – ein Indiz für Unzufriedenheit. Laut einer Verdi-Umfrage halten nur 12 Prozent der Altenpfleger Lohn und Arbeitsbedingungen für angemessen, mehr als die Hälfte für schlecht. Jede zweite Pflegekraft erwägt laut einer Studie der Uni Wuppertal, den Beruf zu wechseln.
Viele tun das auch. „Es sind immer die Guten, die gehen. Je sensibler sie sind und je besser sie die Alten pflegen wollen, desto eher kommt der Frust”, sagt Pflegeexperte Claus Fussek. Der Münchner ist der prominenteste System-Kritiker und als solchen ereilen ihn täglich Briefe von Pflegerinnen, die um Hilfe rufen. So wie Sabine S.* Sie arbeitet in einem Heim in Unna. Bis zu 28 Tage am Stück, wie sie schreibt, darunter viele Doppelschichten mit Früh- und Spätdienst an einem Tag. Ständige Entlassungen führten zu Versorgungsengpässen. Die Folge: „Teilzeitkräfte arbeiten Vollzeit. Mitarbeiter haben sich an freien Tagen bereit zu halten, um einzuspringen.”
Mindestlohn?
Für eine bessere Bezahlung sollen nun Mindestlöhne sorgen. Die Koalition hat die Pflegeberufe ins Entsendegesetz aufgenommen, noch streiten kirchliche und private Verbände mit den Gewerkschaften über die Höhe. Diskutiert wird über einen Stundenlohn zwischen 8,50 und 9,68 Euro.
Nur: Wenn Arbeitszeiten nicht eingehalten werden, sind Mindest-Stundenlöhne Makulatur. Die Kirchen als größte Arbeitgeber können sogar ganz legal Überstunden fordern, aus „Nächstenliebe”. Das erlaubt das besondere Tarifrecht in Tendenzbetrieben. Diakonie und Caritas schreiben solche Klauseln in die Arbeitsverträge.
Personalkosten
Wenn die Arbeitszeiten eingehalten und Mindestlöhne durchschlagen würden, hätte auch das Folgen, die bisher nicht einmal diskutiert werden. Irgendjemand muss die steigenden Personalkosten tragen. Die Politik will ausdrücklich nicht mehr Geld aus der Pflegeversicherung in die Heime pumpen, sondern die ambulanten Dienste stärken.
Damit bliebe den Trägern nur, mehr Geld von ihren Bewohnern und deren Angehörigen zu verlangen – oder aber am Personal zu sparen.
Laut einer Studie des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI) würde der Mindestlohn dazu führen, dass bis 2020 in der stationären Pflege 100 000 Stellen weniger entstünden.
Teilzeit- und Minijobs
Heime könnten Personalkosten auch sparen, indem sie Vollzeitkräfte noch häufiger durch Teilzeit- und Minijobber ersetzen. Keine gute Alternative. „Es gibt schon viel zu viele Jobber in diesem Beruf. Wir brauchen mehr fachlich und sozial kompetentes Personal”, sagt Experte Fussek. Das zeige sich in guten Heimen, die es ja auch gebe. „Die investieren in Weiterbildung, was schlechte Häuser an Abfindungen zahlen, um unbequeme Mitarbeiter loszuwerden.”
Antje V.* stieg aus dem Beruf aus. Nicht wegen des niedrigen Lohns. Sie ertrug den Zeitdruck nicht, ertrug es nicht, Menschen „abzufüttern” und noch weniger ihre „traurigen Blicke”. Was sie schreibt, ist schwer verdaulich. Zwangsernährung. Magensonden. Kollegen, die alten Menschen die Nase zuhielten, damit sie endlich schlucken. Gespräche? „Solange ein alter Mensch redet, kann er nicht schlucken.”
* Namen geändert