Essen. Es ist die zentrale Frage in der zivilen Nutzung der Atomenergie: Wie kann tödlich strahlender Müll aus deutschen Kernkraftwerken sicher gelagert werden – für eine Zeitspanne, die länger währt als die Geschichte des Homo Sapiens? Bislang hat die Politik Antworten gescheut.

Es ist die zentrale Frage in der zivilen Nutzung der Atomenergie: Wie kann tödlich strahlender Müll aus deutschen Kernkraftwerken sicher gelagert werden – für eine Zeitspanne, die länger währt als die Geschichte des Homo Sapiens? Bislang hat die Politik Antworten gescheut. Nun, angesichts neuer Zweifel am Salzstock Gorleben, muss sie bei der Suche nach einem Endlager möglicherweise wieder bei Null anfangen.

Wenige Wochen vor der Bundestagswahl, die auch eine Richtungswahl über die Zukunft der Atomenergie in Deutschland ist, läutete Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) das Totenglöckchen für das Endlager Gorleben. Politisch sei der Standort tot. Gleichzeitig stellte Gabriel den SPD-Fahrplan für die Auswahl eines Endlagers vor, das nach geologischen Kriterien bestmöglich geeignet sein soll. Dafür sei ein „parteiübergreifender Konsens ” nötig. Schon im Frühjahr nächsten Jahres soll der Bundestag über dieses Verfahren entscheiden. 2040 könnte ein solches Lager in Betrieb genommen werden. Bis dahin, so Gabriel, müsse die Atomwirtschaft sämtliche anfallende Kosten tragen.

Wurden Expertisen beeinflusst?

Zwei aktuelle Entwicklungen sorgen dafür, dass Union und FDP mit ihrem Ziel, die Laufzeiten zu verlängern und Gorleben schnellstmöglich fertig zu erkunden, in die Defensive geraten. Zum einen laufen schon in sechs Jahren rund hundert Verträge mit Grundbesitzern aus der Region ab. Durch sie wird dem Bundesamt für Strahlenschutz das Recht übertragen, unter den Grundstücken ein mögliches Endlager Gorleben zu erkunden. Dass diese Verträge verlängert werden, hält Gabriel für unrealistisch. Letzlich, so glaubt er, werde sich die Erkundung Gorlebens nur durch eine „brutale Enteignung” in jahrelangen Verfahren verwirklichen lassen.

Zum anderen gibt es neue Hinweise darauf, dass wissenschaftliche Expertisen zur Eignung des Salzstocks Gorleben in den 80er-Jahren massiv von der damaligen Bundesregierung unter Helmut Kohl beeinflusst wurden. Nach Informationen der „Süddeutschen Zeitung” hätten die Ministerien für Forschung und Inneres, damals von Heinz Riesenhuber (CDU) und Friedrich Zimmermann (CSU) geleitet, die Physikalisch-Technische Bundesanstalt darauf gedrängt, ein Gutachten in wesentlichen Passagen umzuschreiben. Die Zeitung zitiert aus einem Schreiben des Forschungsministeriums an die Fachbehörde. Dort hieße es unter anderem, dass die Gefahr eines Einsickerns von radioaktiven Substanzen ins Grundwasser etwas weiter vom Zentrum der Betrachtung weggerückt werden solle.

"Salzstock ist nur die zweite Wahl"

Den Verdacht, dass Gorleben erkundet wurde, obwohl Experten abrieten, nährt auch der Geologe Gerd Lüttig. Er war in den 1970er-Jahren am Auswahlverfahren beteiligt. Lüttig sagt in einem Interview, dass der Salzstock eigentlich zweite Wahl und aus seiner Sicht nur bedingt geeignet gewesen sei. Genommen worden sei er nur, weil der niedersächsische Ministerpräsident Ernst Albrecht (CDU) die Nähe zur DDR-Grenze als schlagendes Argument betrachtet habe.

Inmitten des Bundestagswahlkampfes rollt nun die Atomdebatte los. „Wir erwarten ein politisches Erdbeben, das Gorleben als Endlagerstandort in sich zusammenbrechen lässt”, sagte der Sprecher der Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg, Wolfgang Ehmke. Auch im Süden Deutschlands rumort es. Dort stehen elf der aktuell 17 deutschen Atomkraftwerke. Deren Müll jedoch sähen die Ministerpräsidenten der Bundesländer am liebsten in Gorleben. Denn würden nach Gabriels Plan künftig auch Granit und Ton als Wirtsgesteine erforscht, rücken Standorte in Bayern und Baden-Württemberg in den Vordergrund.