London. Die Briten protestieren gegen die rabiaten Überwachungsmethoden der Behörden. Denn inzwischen gehen die Beamten weiter, als durchschnittlich jeden Londoner 300 Mal am Tag von den allgegenwärtigen Kameras zu filmen. Demnächst schaut Big Brother auch in die Schlafzimmer.

Observierte Mütter, gefilmte Passanten und befragte Lehrer: Die rabiaten Überwachungsmethoden britischer Behörden sind legendär. Dass der Schnüffelstaat beim Zensus 2011 auch vor den Schlafzimmern seiner Bürger nicht Halt macht, sorgt nun in der Heimat von Big Brother für Unbehagen – und Protest.

Überwachungsprotokolle und Telefonlisten

Jenny Paton verschlug es die Sprache: Als das Schulamt ihr mitteilte, dass die Anmeldung ihrer Tochter bewilligt sei, stellte sich ganz beiläufig heraus, dass man sie drei Wochen lang verfolgt und die Liste ihrer gewählten Rufnummern überprüft hatte. Überwachungsprotokolle der Stadtverwaltung Poole bestätigten das Unfassbare: „Zielperson fährt mit drei Kindern im observierten Fahrzeug aus der Einfahrt”, lautet einer von vielen Einträgen.

Der Anlass war trivial: Paton hatte ihre Tochter zur Schule angemeldet und war kurz später umgezogen – in den Nachbar-Schulbezirk. Für die Behörden reichte diese „Unregelmäßigkeit”: Weil Paton eine Schwindlerin hätte sein können, griffen sie zu Sherlock-Holmes-Methoden.

„Ich verstehe, wenn man Sozialbetrügern auf die Schliche kommen will”, sagt Paton, „aber bei Fragen zum Wohnsitz meiner Tochter hätten sie einfach klingeln können.” Ihr gruselt es bei dem Gedanken, nichts zu wissen, wer sie verfolgt hat: „Wie viele saßen in dem Auto? Waren es Männer? Frauen? Führt die Polizei nun eine Akte über uns?”

Jeder Londoner wird im Schnitt 300 Mal am Tag gefilmt

Die Überwachungsmethoden in Großbritannien sind so legendär wie die Langmut, mit der Briten dies bislang ertragen haben. 300 Mal am Tag wird der Durchschnittslondoner von Überwachungskameras gefilmt, und ein Gesetz aus dem Jahr 2000 gibt Gesundheits-, Schul- und Umweltämtern, der Feuerwehr und selbst der Post weitreichende Schnüffelbefugnisse. Schon beim Verdacht, dass Bürger Hundehaufen nicht beseitigen, Müll falsch trennen oder zu laut sind, dürfen sie die Observierung aufnehmen, Telefon- und Emaildaten einsehen und versteckt Gespräche filmen. 3000 solcher kommunalen Spionageaktionen hat es allein im letzten Jahr gegeben.

Doch mit der umfassenden Volksbefragung, geplant für März 2011, dürfte die Regierung die Geduld der Briten endgültig ausgereizt haben: Für den Zensus sollen sie angeben, wer bei ihnen übernachtet – Geburtstag, Geschlecht und Hauptwohnsitz der nächtlichen Besucher inklusive. „Die Schlafzimmerspione haben jeden Respekt vor der Privatsphäre der Bürger verloren”, wettert Tory-Politiker Nick Hurd.