Berlin. Neue Koalition will sie gesetzlich verbieten. Unterste Grenze liegt dann bei zwei Drittel der üblichen Bezahlung
Viele Menschen können von ihrer Arbeit kaum mehr leben. Extrem niedrige Bezahlung nimmt zu. Um diesen Missstand einzudämmen, wollen Union und FDP nun ein Verbot sittenwidriger Löhne ins Gesetz schreiben. Das berichtete CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla am Donnerstag aus den Koalitionsverhandlungen.
Mit dem neuen Lohn-Gesetz würde die schwarz-gelbe Regierung die aktuelle Rechtsprechung bestätigen (s. Infobox). Laut Bundesarbeitsgericht ist ein Lohn dann sittenwidrig, wenn er mehr als ein Drittel unter der üblichen Bezahlung in der Branche oder Region liegt. Wozu aber braucht man angesichts dieser Klarheit ein neues Gesetz? Mit einer unmissverständlichen Formulierung zum Verbot würde es den Beschäftigten künftig leichter fallen, sich gegen Niedriglöhne in den Unternehmen zu wehren, heißt es bei den Sozialexperten der Union. Denn schließlich würden heute manche Unternehmen nicht bloß versuchen, ein Drittel weniger zu bezahlen, sondern gleich den Lohn auf die Hälfte reduzieren. Diesem Lohndumping wollen die Koalitionäre mit einer besseren Formulierung im Gesetz beikommen. Solche Extremfälle seien aber sehr selten, so das Bundesarbeitsgericht Erfurt.
Massive Kritik an der schwarz-gelben Initiative
Der Deutsche Gewerkschaftsbund, die Linkspartei und die Grünen kritisierten die schwarz-gelbe Initiative massiv. DGB-Vorstandsmitglied Claus Matecki sprach sogar von „Verordnung der Armut per Gesetz”. Sein Argument: Die Koalition unternehme nichts gegen den tatsächlichen „Lohndrift” nach unten, im Gegenteil leiste sie der Abwärtsspirale Vorschub. Die Definition einer Untergrenze bei zwei Drittel des üblichen Lohnes wirke für manche Firmen als Anreiz, die Bezahlung ihrer Beschäftigten auf eben dieses Niveau zu senken.
Was diese Befürchtung in Euro und Cent ausgedrückt bedeutet, lässt sich an Beispielen illustrieren. Laut Tarif-Archiv der gewerkschaftlichen Hans-Böckler-Stiftung erhalten Beschäftigte im brandenburgischen Einzelhandel beispielsweise minimal 7,70 Euro brutto pro Stunde. Wollte ein tariflich nicht gebundener Betrieb den Lohn drücken und gleichzeitig die Drittel-Regel berücksichtigen, könnte er auch 5,50 Euro zahlen. Der Bruttomonatsverdienst für die Vollzeittätigkeit betrüge dann rund 840 Euro. Rechtlich wäre das in Ordnung. Aber wer soll davon noch leben?
Es ändert sich nicht viel
Mitarbeiter von Sicherheitsdiensten in NRW erhalten laut Tarif mindestens 9,07 Euro. Sittenwidrig wäre es nicht, 25 Prozent weniger zu zahlen, wodurch der Stundenlohn auf 6,80 Euro sänke. Monatsverdienst: 1088 Euro.
Ralf Brauksiepe, arbeitsmarktpolitischer Sprecher der Union, hält diese „Befürchtungen für unplausibel”. Der Niedriglohnsektor wachse nicht dadurch, dass die Regierung eine absolute Untergrenze definiere. Beim Bundesarbeitsgericht bestätigt man diese Sicht: Durch die Festlegung werde sich praktisch nicht viel ändern.
Sicher ist freilich, dass sich die gegenwärtige Lage auch nicht bessert. Und genau das ist es, was DGB, Linke, Grüne und SPD wünschen. Jahrelang hat die SPD in der großen Koalition mit der Union um höhere Mindestlöhne gerungen, die irgendwo bei sieben, acht oder neun Euro pro Stunde liegen sollten. Zugespitzt ausgedrückt definiert die Union zusammen mit der FDP ihren eigenen Mindestlohn – jeweils ein Drittel unter dem, was üblicherweise bezahlt wird.
Monatsverdienste von 800 Euro liegen auf Hartz-IV-Niveau, also etwa auf der Höhe des Existenzminimums. Beschäftigte mit solch unauskömmlichen Löhnen werden auf ergänzende Sozialleistungen angewiesen sein.