Essen. Der Vorstandsvorsitzende der Bayer AG, Werner Wenning, spricht über die wachsende Industriefeindlichkeit in Deutschland. Am Beispiel der CO-Pipeline macht er deutlich, wie die Wirtschaft von Planungs- und Investitionssicherheit abhängt.
Herr Wenning, Sie haben bei Bayer als kaufmännischer Auszubildender angefangen. Nun sind Sie Vorstandschef. Ist eine solche Karriere heute noch denkbar?
Werner Wenning: Das ist sicherlich schwerer geworden, ausschließen will ich das aber nicht. Ich habe als 23-Jähriger die Chance bekommen, in Peru ein Unternehmen für Bayer mit aufzubauen und Verantwortung zu übernehmen. Diese Erfahrung, noch dazu in einer anderen Kultur, war sicherlich eine entscheidende Weichenstellung für meine Karriere bei Bayer.
Sie sind seit über 43 Jahren im Betrieb, seit sieben Jahren als Chef. Das mutet in Zeiten, wo Chefs von DAX-Konzernen im Schnitt nur gut drei Jahre an Bord sind, antiquiert an. Oder ist diese Erfahrung eher ein Vorteil?
Ich bin davon überzeugt, dass sich eine gewisse Kontinuität in der Führung positiv auf die nachhaltige Entwicklung eines Unternehmens auswirkt. Sehen Sie sich die erfolgreichen Unternehmen im Dax an. Dort sind die Vorstandsvorsitzenden vielfach länger als der Durchschnitt in der Verantwortung.
Aber auch Sie sind, was die Entwicklung des Aktienkurses angeht, ein Getriebener der Börse.
Das ist ein Klischee. Wir lassen uns nicht von kurzfristigen Zielen leiten. Bayer existiert bereits seit 146 Jahren. Ohne eine auf Nachhaltigkeit ausgerichtete Strategie wären wir nicht da, wo wir jetzt stehen. Dazu gehört es im Übrigen auch, die richtige Balance zu finden zwischen den Interessen von Aktionären, Mitarbeitern und Kunden – also allen, die mit uns zu tun haben, und dazu gehören auch die Nachbarn an unseren Standorten.
Was die Nachbarschaft angeht, haben Sie mit Blick auf die Kohlenmonoxid-Pipeline große Probleme.
Diese pauschale Aussage stimmt so nicht. Da muss man doch sehr genau unterscheiden. Natürlich müssen wir bei einem Teil der Anwohner entlang des Trassenverlaufs stark um Akzeptanz kämpfen. Hier kommen wir mit Sachargumenten kaum durch. Aber es gibt auch sehr viele Befürworter der Pipeline.
Der Präsident des Chemieverbandes sagte jüngst, Bayer hätte mit einer umfassenderen Informationspolitik viele Irritationen vermeiden können.
Der Präsident des VCI unterstützt unser Anliegen sehr. Wir meinen allerdings schon, dass wir seit Beginn des Projektes unserer Pflicht umfassend nachgekommen sind, die Notwendigkeit und die zahlreichen Sicherheitsmaßnahmen immer und immer wieder zu erklären und um Akzeptanz zu werben. Eine Aufzählung aller Maßnahmen würde eine Zeitungsseite füllen.
Woher dann der Widerstand?
Es gibt relativ kleine, lokale Gruppen und Kommunalpolitiker, die sehr emotional agieren und Ängste schüren. Mit unseren fundierten und sachlich begründeten Argumenten ist gegen diese Emotionen schwer anzukommen. Diese Minderheit will auch keinen Dialog über Sachfragen. Dabei tun wir doch alles Menschenmögliche, um die Sicherheit der Pipeline zu gewährleisten. Das ist doch unser ureigenstes Interesse. Deshalb hat diese Pipeline die weltweit höchsten Sicherheitsstandards.
Fühlen Sie sich von der Politik im Stich gelassen?
Auch hier muss differenziert werden: Die nordrhein-westfälische Landesregierung setzt sich stark für das Projekt ein und versucht zu vermitteln. Einige Abgeordnete scheinen allerdings vergessen zu haben, dass es vor einiger Zeit einen einstimmigen Beschluss im Landtag für die Pipeline gegeben hat. Das finde ich befremdlich. Im Kommunalen geht es – wie vor allem auch beim ehemaligen Bürgermeister von Monheim – um die Durchsetzung eigener Interessen und teilweise auch um Wahlkampf. Vor diesem Hintergrund begrüßen wir, dass insbesondere die NRW-Wirtschaftsministerin Christa Thoben, aber auch die Gewerkschaften, immer wieder erklären, welche Folgen ein Scheitern des Projektes haben könnte.
Welche Folgen hätte ein Scheitern für Bayer?
Bayer würde auch ohne die Pipeline überleben. Wir drohen auch nicht mit einem Wegfall von Arbeitsplätzen - das ist nicht unsere Art. Aber eines ist doch klar: Wir brauchen die Pipeline für einen Verbund der Standorte Dormagen und Krefeld-Uerdingen, um in einem extrem harten Weltmarkt unsere Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten beziehungsweise auszubauen. Wenn wir das nicht können, ergeben sich zwangsläufig Folgen für Investitionsentscheidungen der Zukunft. Das ist ein schleichender Prozess. Mehr Sorgen mache ich mir allerdings aus anderen Gründen.
Die da wären?
Ich bin in NRW geboren und ich hänge an diesem Land. Sie glauben gar nicht, wie genau die Unternehmen außerhalb des Landes diese Diskussion beobachten. Übrigens auch die um den Eon-Kraftwerksstandort in Datteln. Was wir brauchen ist Planungs- und Investitionssicherheit. Wenn sich die Industrie zukünftig nicht mehr auf erteilte Genehmigungen verlassen kann, wird das Vertrauen in den Industriestandort Nordrhein-Westfalen beschädigt. Das wäre ein verheerender Schaden für die Region.