Gelsenkirchen. Das Therapieprojekt für jugendliche Sexualstraftäter in Gelsenkirchen kann Erfolge aufweisen. Doch es findet ausgerechnet in den Räumen einer Kindertagesstätte statt. Die Eltern der Kita-Schützlinge waren offenbar nicht über das Projekt informiert.
Das Schweizer Dorf ist eine der Vorzeigekitas im Gelsenkirchener Süden. In dem zertifizierten „Familienzentrum” mit den selbstgebauten Spielgeräten und bemalten Wänden wird seit 50 Jahren Kindern und ihren Eltern ins Leben geholfen – in enger Kooperation mit einer ebenso engagierten städtischen „Erziehungsberatungsstelle”, mit der sich die Kindertagesstätte das großräumige Gelände und Gebäude teilt. Nur werden hier seit 15 Jahren am Nachmittag Jugendliche therapiert, die wegen sexuellen Missbrauchs an Minderjährigen aufgefallen sind.
Und obwohl Transparenz laut Aussage aller offiziell Beteiligten immer ganz groß geschrieben wurde, wussten die Eltern über die ganzen Jahre offenbar nichts von der heiklen Einrichtung mit dem unscheinbaren Namen. Das wurde den Eltern der Kindergartenkinder bisher „nicht offensiv über eine Kommunikationsstrategie vermittelt”, räumt Jugendamtsleiter Alfons Wissmann ein.
Einmaliges Projekt
Dabei ist das Projekt in dieser Form deutschlandweit einmalig. Es handelt sich um ein Therapieangebot für „eine Klientel von Tätern, bei denen durch eine Therapie in jungen Jahren spätere Wiederholungstaten so gut wie ausgeschlossen werden können”, so Psychotherapeut und Projektleiter Rainer Kulessa. Kulessas Erfolge wurden 2004 wissenschaftlich dokumentiert und von der Landesregierung ausgezeichnet: Die Rückfallquote der Täter liegt demnach bei unter zwei Prozent.
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Konkret sieht die Therapie so aus, dass zurzeit etwa sechs bis acht Kinder und Jugendliche im Alter von sechs bis 17 Jahren zu Einzelberatungen und einmal in der Woche zu einer Gruppenstunde auf das Kita-Gelände kommen. Die Gruppenstunde beginnt um 17 Uhr, der Kindergartenbetrieb endet um 17 Uhr. „Da ergeben sich keine Überschneidungen”, erklärt Wissmann. Zumal die Jugendlichen vom Eintritt in das Gebäude bis in die Räume und auch wieder hinaus begleitet würden – „von hochqualifiziertem Personal, das wir in der Beratungsstelle vorhalten”. Und die Kinder würden ja auch von ihren Eltern abgeholt und seien damit ebenfalls in Begleitung.
Passende Infrastruktur
Warum die Jugendlichen, die sich ihre minderjährigen Opfer zum Teil auf dem Gelände anderer Kitas oder Schulhöfen gesucht und dort missbraucht haben, ausgerechnet auf dem Gelände einer Kindertagesstätte behandelt werden müssen? „Für die Therapie braucht es die Infrastruktur einer Erziehungsberatungsstelle, und die haben wir nunmal nur hier”, sagt Wissmann.
Wiewohl: „Hätte ich die Standortfrage heute nochmal zu entscheiden, würde ich anders entscheiden.” Und: „Wir hätten offener über genau dieses Angebot mit den Erzieherinnen der Kita sprechen müssen.” Mit der Elternschaft aber sei das schwierig: „Die wechselt ja jedes Jahr.”
Auch die Kita-Leitung hat nichts gewusst
Die ehemalige Kita-Leiterin (1981 bis 2008) erklärt auf Anfrage: „Um welches Angebot mit welchen Jugendlichen es sich genau handelt, das wurde nie detailliert mit Eltern besprochen.” Und auch die jetzige Kita-Leiterin sagt: „Die genauen Umstände des Projektes kannte ich nicht.”
Die Raumfrage sei mit dem Start des Projektes vor 15 Jahren ebenfalls nicht mit den Beteiligten diskutiert worden – „jedenfalls nicht mit mir als Leiterin und auch nicht mit den Eltern” (ehemalige Leiterin). Das räumt auch Wolfgang Schreck, Leiter der Beratungsstelle, ein. „Das wäre auch nicht sinnwoll gewesen.” Aber er sagt auch: „Ich besuche die einzelnen Kita-Gruppen regelmäßig und referiere dort über alle Angebote unserer Beratungsstelle. Die Wege sind sind sehr kurz, die Kita profitiert an vielen Stellen von uns.” Das betonen auch die beiden Leiterinnen: „Bisher lief die Zusammenarbeit gut.”
Sowohl Schreck als auch Wissmann erklären: „In 15 Jahren ist es hier zu keinem Übergriff der jugendlichen Täter auf Kinder der Kita gekommen.” Weil eben de facto keine Gefahr bestehe.
Die Elternvertreter waren am Donnerstag nicht zu sprechen.