Essen. Schon zu ihrer Beerdigung im Juni 1919 kamen so viele Leute, dass Eintrittskarten verteilt werden mussten. Seither ist das Grab von Rosa Luxemburg in Friedrichsfelde eine Pilgerstätte für Deutschlands Linke. Doch wer liegt wirklich in der Gruft neben Karl Liebknecht?

Der Rechtsmediziner Michael Tsokos bezweifelt, dass die Revolutionärin begraben wurde – weder hier, noch jemals woanders.

Die Ermordung

Die Revolutionärin Rosa Luxemburg und der Arbeiterführer Karl Liebknecht waren am 15. Januar 1919 von Soldaten der Garde-Kavallerie-Schützen-Division ermordet worden.

Die Mitbegründerin der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) wurde zunächst brutal niedergeschlagen und dann durch einen Schuss in den Kopf getötet. Anschließend warfen die Täter ihre Leiche in den Landwehrkanal.

Tsokos glaubt: Der Leichnam Rosa Luxemburgs liegt in der Berliner Charité. Eine Wasserleiche, die seit Jahrzehnten zum Fundus gehört, weise „verblüffende Ähnlichkeiten mit der realen Rosa Luxemburg auf”, sagt er. Auf die Leiche ohne Kopf, Hände und Füße war er 2007 kurz nach seinem Amtsantritt gestoßen, als er die Sammlung der Rechtsmedizin durchstöberte. Und sie gab ihm Fragen auf.

Denn nicht nur ihre Herkunft war ungeklärt, sie hat zudem unterschiedlich lange Beine, so wie Rosa Luxemburg, die an einem Hüftschaden litt. Auch das Alter passt: Die Tote war zwischen 40 und 50 – Rosa Luxemburg war 47, als sie ermordet wurde.

Das Gerücht, die Revolutionärin habe die Charité nach der Obduktion nie verlassen, gab es schon lange. Tsokos fing an zu forschen, holte sich das Protokoll ihrer angeblichen Autopsie und stolperte über Ungereimtheiten. Das Protokoll stimme „hinten und vorne nicht”, sagt er. Weder habe die untersuchte Leiche unterschiedlich lange Beine gehabt, noch hätten seine Vorgänger Kopfverletzungen feststellen können. „Die Ärzte, eigentlich zwei Koryphäen, eiern sich durch den Bericht, stellen ihre eigenen Befunde nach ein paar Zeilen wieder infrage”, sagt Tsokos und liefert gleich die Erklärung dafür. „Sie standen unter enormem Druck.” Die Machthaber wollten unbedingt, dass der Leichnam der Rosa Luxemburgs war. „Die wollten endlich Ruhe haben.”

Für Tsokos ist klar: „Die sezierte Leiche war niemals die von Rosa Luxemburg, da bin ich mir 100-prozentig sicher.” Ob es sich stattdessen bei „seiner” Wasserleiche um Luxemburg handelt, das will er nicht ganz so sicher behaupten. Doch außer dem Alter und dem Hüftschaden meint Tsokos weitere Hinweise gefunden zu haben, die ins Bild passen. Etwa, dass dem Leichnam Hände und Füße fehlen. Denn genau an den Stellen, an denen die Gliedmaßen abgerissen sind, hätten Soldaten Gewichte mit Draht befestigt, um die Tote versenken zu können. „Da muss man nur noch eins und eins zusammenzählen.”

Allein: Ein Beweis für Tsokos' Theorie steht noch aus. Ein Gentest könnte ihn liefern, doch die Suche nach DNA-Material gestaltet sich nach all den Jahren schwierig. Tsokos hat schon einiges versucht. Sogar Briefmarken unters Mikroskop gelegt, in der Hoffnung, Rosa Luxemburg könnte sie abgeleckt haben. Vergebens.

Deshalb hat sich Tsokos an die Öffentlichkeit gewandt, seinen Verdacht zunächst dem „Spiegel” erzählt. Er hofft auf weitere Hinterlassenschaften Rosa Luxemburgs. Eine Locke soll es geben, in den USA. „Aber auch ein Hut wäre gut oder ein Mantel.” Schon ein paar Haare könnten das Rätsel um die unbekannte Leiche in der Charité lösen.