Erfurt. In Thürigen rebelliert die SPD-Basis gegen ihre Chef, weil der mit der CDU verhandeln will.

Mit so viel Andrang hat niemand gerechnet. Rund 400 SPD-Mitglieder versammeln sich am Samstagvormittag im Konferenzzentrum Erfurt. Die Atmosphäre ist von Beginn an hitzig. Als Thüringens SPD-Chef Christoph Matschie ankommt, wird er Mit Buh-Rufen empfangen. Einer ruft: „Verräter!”

Es wird kein leichter Tag für den Vorsitzenden. Viele im Saal sind unzufrieden mit dem Beschluss des Landesvorstandes, Koalitionsverhandlungen

mit der CDU aufzunehmen. Nach einer turbulenten Sitzung hatte der Vorstand vor zehn Tagen so entschieden, seither grummelt es heftig in der Partei. Viele wünschen sich Rot-Rot-Grün.

Deshalb hat das rot-rot-grünen Lager in der SPD zu der Krisenkonferenz eingeladen, darunter die Oberbürgermeister von Gera und Erfurt, Norbert Vornehm und Andreas Bausewein.

„Gruselige Debatte”

Als Matschie nicht gleich selbst das Wort ergreift, sondern erst einmal seine Stellvertreterin Heike Taubert und sein Wirtschaftsminister in spe, Matthias Machnig, reden, verstärkt das den Unmut der Menge im Saal. Als er dann doch ans Mikrofon tritt, verteidigt Matschie die Entscheidung für Schwarz-Rot: Es sei ein Märchen, dass es der SPD nach Großen Koalitionen immer schlecht gehe: „In Brandenburg hat die SPD sogar zugelegt.” Buh-Rufe und Pfiffe.

Matschie beschwört die Genossen: „Lasst mich doch die Argumente vortragen.” Sie lassen ihn – aber die Situation zeigt, wie unversöhnlich sich hier zwei Blöcke gegenüberstehen: Immer wieder wird Matschie unterbrochen, teils von Buh-Rufen, teils von Jubel und Applaus.

Matschie lässt nicht locker. Linke-Spitzenmann Bodo Ramelow habe heimlich andere SPD-Politiker angesprochen, ob sie als Ministerpräsidenten zur Verfügung stünden. Den Satz „Die SPD stellt den Ministerpräsidenten” habe die Linke nicht unterschreiben wollen. „Ramelows einziges Ziel war es, die SPD am Nasenring über die Bühne zu führen”, sagt Matschie.

Andreas Bausewein sieht das allerdings ganz anders. Das Spitzenpersonal kenne sich schließlich seit zehn Jahren. „Und jetzt stellt man plötzlich fest, es gibt persönliche Probleme?”, ruft Bausewein unter zustimmendem Gelächter.

Als sich Ex-Parteichef Gerd Schuchardt, von 1994 bis 1999 Vize-Ministerpräsident in der ersten Großen Koalition Thüringens, für Schwarz-Rot ausspricht, wird auch er ausgebuht. Die Debatte sei „gruselig”, kontert Schuchardt: „Es kann nicht sein, dass ein demokratischer Landesvorstand derart verunglimpft wird." Mit Dutzenden Wortmeldungen diskutieren die Genossen über Stunden hinweg. Später sagt Matschie, es gebe einen „knallharten Machtkampf” in der Partei, aber das sei er gewohnt: „Kämpfe werden mit Mehrheiten ausgetragen, und zwar auf Parteitagen.”

Kritik kommt von Geras Oberbürgermeister Norbert Vornehm: „Wenn Matschie vom heutigen Tag mitnimmt, dass es einen Machtkampf gibt, dann wird er seiner Verantwortung als Landesvorsitzender nicht mehr gerecht.”

Die Initiatoren der Tagung plädieren für eine Mitgliederbefragung, der für den 25. Oktober geplante Parteitag solle verschoben werden. Mehrere

Mitglieder verteilen Stimmzettel für einen Mitgliederentscheid für Rot-Rot-Grün, dem aber wegen der kurzen Zeit bis zum Parteitag kaum Chancen

eingeräumt werden.

Wer sich welcher Mehrheit unterordnen muss, wird sich nun am 25. Oktober zeigen.