Reykjavik. Die 13 Jólasveinar, die isländischen Weihnachtsmänner, haben kaum etwas mit dem freundlichen Santa Claus oder dem himmlischen Christkind gemein.

Seltsame Felsformationen erinnern an fiese Trolle, zu Eis erstarrt. An der Oberfläche brodeln heiße Quellen, während der unerbittliche Wind den Frost in die Glieder treibt. Die raue Natur im isländischen Winter ist der Stoff, aus dem dunkle Geschichten gemacht sind. So dunkel wie die Weihnachtsgeschichte.

Island liegt nur wenige Kilometer entfernt vom Nördlichen Polarkreis. 80 Prozent der Insel sind unbewohnt. Am 20. Dezember, dem kürzesten Tag des Jahres, scheint die Sonne gerade einmal vier Stunden. Diese unwirtlichen Lebensbedingungen haben die Traditionen des einstigen Wikingervolkes geprägt.

13 unflätige Weihnachtsmänner

Und so haben die 13 Jólasveinar, die isländischen Weihnachtsmänner, kaum etwas mit dem freundlichen Santa Claus oder dem himmlischen Christkind gemein. Sie rülpsen, sie stehlen, sie knallen die Türen und schauen den Mädchen unter die Röcke. Schlimmer noch: Pottasleikir (der Topflecker), Gattapefur (der Türschlitzschnüffler), Bjugnakraekir (der Wurststibitzer) und Co. verbreiten Angst und Schrecken, gemeinsam mit ihrer Mutter Grýla und der Weihnachtskatze, die unartige Kinder sogar fressen.

Doch trotz der dunklen Geschichten wurde die isländische Hauptstadt Reykjavik vom US-Fernsehsender CNN im Jahr 2010 zur besten Weihnachtsdestination weltweit gekürt. Schneeflocken wirbeln durch die Luft, in den dunklen Straßen glitzern die Lichter mit dem goldgelben Dunst des Sonnenuntergangs um die Wette, die Weihnachtslieder, die am ersten Advent beim Erleuchten des Tannenbaums auf dem Austurvöllur Platz erklingen, sind mal ungestüm und wild, mal sanft und melancholisch.

Einheimische beklagen amerikanisierte Trolle

Beim dunklen, herben Weihnachtsbier erzählen die Einheimischen dann stolz von ihren einzigartigen Weihnachtsmännern, erinnern sich lachend an die eigene Furcht vor den Trollen und schütteln die Köpfe über deren schleichende Amerikanisierung, die mit roten Anzügen und weißen Bärten gelegentlich Einzug hält. Denn die alte Tradition ist es, die aus der isländischen Weihnachtszeit etwas Unvergleichliches macht. Die weihnachtliche Stimmung hier ist so echt, so magisch, dass sie trotz der fürchterlichen Geschichten ansteckend ist.

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Und so fremd diese Saga auch sein mag: Die isländische Trollfamilie ist viel älter als ihr entfernter Verwandter, dem von Coca Cola erfundenen Weihnachtsmann. Mutter Grýla wurde schon im 13. Jahrhundert erwähnt, ihre Söhne tauchen erstmals in einem Gedicht aus dem 17. Jahrhundert als bösartige Kreaturen auf.

Weiße Erde, weiße Luft und weißer Himmel 

Die Angst und die Gefahr, für die der isländische Weihnachtsclan steht, seien den Lebensbedingungen in einem Land geschuldet, in dem es damals im Winter ums nackte Überleben ging, erklärt Jon Trausti Saemundsson vom Tourismusbüro der Stadt Reykjavik. Im wilden Schneegestöber wird auch der schwarze Lavaboden weiß. Bäume gibt es hier kaum: Die Weihnachtstannen werden importiert.

Die kahle Winterlandschaft besteht aus weißer Erde, weißer Luft und weißem Himmel – in scheinbar ewiger Dunkelheit. Wer da zu viel erwartete, nicht geduldig war oder sich nicht in die Gemeinschaft fügte, konnte die kalte und dunkle Jahreszeit früher kaum überstehen. Und so wurde mit den alten Sagen eine mystische Atmosphäre erzeugt, die nur langsam zum Heiligen Abend, dem Licht in der Dunkelheit, führte.

Glaubt jeder zweite Isländer an Elfen und Trolle?

„Wenn man die Felsformationen auf dem Land sieht, versteht man, warum die Menschen an Elfen und Trolle glauben“, sagt Saemundsson. Angeblich ist tatsächlich die Hälfte der isländischen Bevölkerung von der Existenz dieser Wesen überzeugt. Deshalb gehören auch heute noch die Geschichten über die furchteinflößenden Kreaturen aus dem Hinterland der Insel zu den traditionellen isländischen Festtagsvorbereitungen.

In den 13 Tagen vor Weihnachten steigen die Trolle das schneebedeckte Esja-Gebirge hinab, das an klaren Tagen hoch hinter Reykjavik aufragt. Zu den Menschen kommt immer nur ein Weihnachtsmann nach dem anderen – vermutlich wäre das Chaos zu groß, wenn alle 13 Brüder auf einmal erscheinen würden.

Turbulente Zeit bis zum 6. Januar

Den artigen Kindern hinterlassen die Gesellen kleine Geschenke, den frechen alte Kartoffeln in den Schuhen, die auf den Fensterbänken der farbenfrohen Holzhäuser stehen. Allerdings nicht, ohne etwas aus dem Haus zu stibitzen – von Kerzen bis hin zu Leckereien ist nichts vor den Trollen sicher. Erst nach den Feiertagen verschwinden sie wieder einer nach dem anderen, so dass die turbulente Zeit bis zum 6. Januar andauert.

Aufatmen können die Isländer nur am Abend des 24. Dezember. Spätestens, wenn um 18 Uhr die Weihnachtsglocken läuten und der Duft von Truthahn, Schneehuhn oder geräuchertem Schweinerücken durchs Haus weht, ist kein Troll mehr in Sicht. Denn der Heilige Abend steht ganz in der christlichen Tradition von biblischer Weihnachtsgeschichte, Messe und Bescherung. Nur gut, dass die Geschenke in Island nicht von einem ungezogenen Troll, sondern von der Familie gebracht werden.