Reykjavik. Schon die Pferde auf Island gelten als „zäh und wild“, doch auch die Bewohner der Insel im Nordatlantik verblüffen die Gäste durch ungewohnte Angebote – ein Traumziel für Abenteurer, selbst im milden Winter.
In den Nachrichten der Welt kommt Island häufiger vor als Bielefeld. Dabei haben beide gleich viele Einwohner. Doch die Isländer machen mehr Asche. Nach jahrelangem Schweigen produzierten sie 2008 Schlagzeilen, weil sie das Geld vieler Anleger, die sie mit Traumrenditen gelockt hatten, sozusagen zu Asche verbrannten. Die Banken gingen bankrott, dem Staat drohte eine Pleite.
Asche spielt für die Isländer auch in anderer Hinsicht eine große Rolle, denn auf der geologisch jungen Insel reiben sich im Untergrund zwei Kontinentalplatten. Fast täglich bebt deshalb ein wenig die Erde. Rund 30 Vulkane sind noch aktiv. Wenn sie ausbrechen, ist Europa in Not, denn die Asche schleudert himmelhoch. Über die oberen Luftschichten verbreitet sie sich über halb Europa. Isländer können so den Flugverkehr in Deutschland zu Boden bringen.
Wer mit Naturgewalten so hautnah zu tun hat, wirkt anziehend – auf abenteuerlustige Urlauber. Rund 50 000 Deutsche im Jahr wollen mehr wissen, wie es zugeht zwischen Gletschern von der Größe des Bodensees, Wasserfällen gigantisch wie Hochhäuser oder im 40 Grad warmen Wasser eines 5000 Quadratmeter großen Milchsees. Er heißt Blaue Lagune und liegt nahe der Hauptstadt Reykjavik. Die Trübung des Wassers, das schon heiß aus dem Untergrund hochdrückt, rührt vom Kieselschlamm her, mit dem sich die Badegäste die Haut beschmieren. Es hält jung. Hautcremes der Blauen Lagune sind ein Verkaufsschlager.
„Isländer sind zäh und wild“, meint der 55-jährige Schriftsteller Einar Kárason lächelnd und lässt offen, ob er die Pferderasse meint oder seine Landsleute. Die etwa 1,40 Meter hohen Pferde bevölkern seit dem Jahr 874 die Insel, als Wikinger die Keltenponys mitbrachten. Sie blieben unter sich. Seit 1081 Jahren dürfen keine Pferde nach Island importiert werden. Dafür sind sie bis heute ein Exportschlager. Goldgräbermentalität nennt Kárason das. Für seinen Roman „Versöhnung und Groll“ erhielt der beliebte Hochschuldozent 2009 den Literaturpreis seines Landes.
Den Mitbewohnern genau auf die Finger geschaut
Dabei schaut er seinen Mitbewohnern an der Nordwestecke Europas genau auf die Finger. Die Isländer seien ständig dabei, Neues auszuprobieren, hätten meist drei Nebenjobs, bauten an ihrem Sommerhaus herum und machten Musik, beschreibt er die Bewohner des Landes nahe dem nördlichen Polarkreis. So kann „zäh und wild“ auch für sie zutreffen.
Die Urlauber sind dabei, das nachzuahmen. Sie fahren mit dem Schneemobil tagelang durch die Wildnis. „Das geht nur in kleinen Gruppen“, rät Tourleiter John, denn sonst sei es kein Abenteuer mehr, sondern Selbstmord. Sie mieten sich Geländewagen mit Breitreifen und preschen quer über die Geröllwüste. Rund um den schlummernden Vulkan Hekla im Südteil Islands hat Jon schon viele Wagen herausgezogen, als sie von der Spur im Schnee abgekommen waren. „Sie sind so fasziniert vom Anblick der schneebedeckten Berge und dem Meer, dass sie gar nicht auf die Piste schauen.“
Wieder andere verbinden sieben Kilometer Rafting auf dem Gletscherfluss Hvitá mit einer Spritztour im Schiff vom alten Hafen Reykjaviks aus. Delfine, Zwerg- und Schweinswale springen dann vor die Teleobjektive. Manche sehen sogar Buckelwale, andere Orcawale. Dazu kreisen Kormorane, Tordalken und Seeschwalben ums Boot. „Wenn wir nicht diese Tafeln hier an Bord hätten, würde ich die Arten gar nicht erkennen“, gibt Werner aus Hamburg zu.
Er ist mit einem Freund für zwei Wochen auf Island. Das Schiff fährt noch an der Vogelinsel Akurey vorbei. Hier sind 15 000 Paare von Papageientauchern zu Hause. Es klickt ununterbrochen an Bord. Isländer zeigen ihre Naturschönheiten gern. Sie wissen, was Leben am Limit bedeutet. Sie kennen die raue See. Sie schmecken die Luft und spüren, wann Schnee kommt.
Island: Kühle Sommer, milde Winter
Island hat kühle Sommer mit 12 bis 15 Grad, dafür aber milde Winter dank des Golfstroms, der hier verlässlich vorbei fließt. Null bis drei Grad lauten die Durchschnittswerte der Luft im Winter. „Das ist nicht kühler als in Hamburg zu der Zeit“, betont Wirtschaftsingenieur Thomas Möller, der in Deutschland studiert hat. Er hat ganz revolutionäre Ideen: Bei 6000 Litern Trinkwasser pro Sekunde, die aus den Quellen der Insel sprudeln, möchte er es abfüllen und in Tankschiffen dorthin fahren, wo es auf der Welt gebraucht wird.
Doch bevor wieder eine dieser gewinnbringenden Ideen der Isländer durchschlägt, haben sie – nach langem Baustopp wegen der Finanzkrise in ihrer Hauptstadt – eine neue Attraktion: die Harfe. Das Konzerthaus „Harpa“ mit der spektakulären Fassade, auch „Gischt in Glas“ genannt, und den 3000 Sitzplätzen ist doch noch eher fertig geworden als die Hamburger Elbphilharmonie. 106 Millionen Euro für den guten Ton wurden investiert. „Die Isländer sind Musik“, sagt Maria Reynisdottir unbescheiden. Sie selbst singt gern, hat die Karriere der weltbekannten Sängerin Björk miterlebt und weiß, wer so alles in dem neuen Konzerthaus auftritt – die Weltelite.
Den vierstöckigen Konzertsaal, in dem sie dann zu erleben ist, schmückt die Farbe roter Vulkanasche. Dieses Verbrennungsprodukt scheint das Land zu verfolgen.