Welle der Hilfsbereitschaft für Flüchtlinge in Dortmund
•
Lesezeit: 5 Minuten
Dortmund. . Sie kamen überraschend. Aber schnell reagierten die Dortmunder auf die Flüchtlinge. Tausende Helfer empfingen sie am Hauptbahnhof.
An der rechten Hand die kleine Tochter, links eine Plastiktüte und über der Schulter eine verschlissene Reisetasche, schlurft Mustapha über den Bahnsteig am Dortmunder Hauptbahnhof. Von unten ist Klatschen und Gesang zu hören. „Willkommen hier“, singen sie, und für alle, die das nicht verstehen werden eilig gemalte Plakate mit großen Herzen darauf hochgehalten. Etwa 2500 Flüchtlinge waren am Sonntag in Dortmund eingetroffen, davon mehr als 2000 mit Zügen. Von Dortmund aus wurden sie auf Aufnahmelager in ganz NRW verteilt. Auch am späten Abend wurden noch weitere Flüchtlinge in Dortmund erwartet, hieß es. Empfangen wurden sie mit viel Beifall, aber auch ein wenig Besorgnis.
Flüchtlinge in DeutschlandWer kommt, kommt nicht mit leeren Händen. Spielzeug wird gebracht, Decken und Bekleidung und natürlich jede Menge Verpflegung. Von Hand zu Hand wandern die Sachen in langen Menschenketten durch die Bahnhofshalle. Textilien werden gestapelt, Plastiktüten mit Broten und Wasserflaschen gefüllt. „Wahnsinn“ ist ein Wort, das oft fällt in dieser Nacht.
Gegen zwei Uhr in der Frühe wird die friedliche Stimmung kurz, aber empfindlich gestört. Auf dem Bahnhofsvorplatz kommt es zu Krawall. Rund 20 Rechtsradikale werfen Böller, Gegendemonstranten aus dem linken Spektrum antworten mit leeren Glasflaschen. Als die Polizei die Rechten durch den Bahnhof führen will, um sie in eine S-Bahn zu setzen, eskaliert die Situation. „Nazis raus“, ruft die Menge und versucht die Halle zu blockieren. Vier Personen werden in Gewahrsam genommen, drei Polizisten und zwei Unbeteiligte leicht verletzt.
Am frühen Morgen hat sich die Lage längst wieder beruhigt. Gegen 8.40 Uhr bringt ein erster Zug 120 Flüchtlinge, knapp zwei Stunden später folgt ein weiterer mit 1013 Menschen an Bord, ein dritter trifft am Nachmittag mit rund 700 Passagieren ein. Viele Familien mit Babys und kleinen Kindern sind darunter, aber auch viele junge Männer ohne Begleitung. Durch ein Spalier applaudierender Helfer verlassen sie den Bahnhof und werden in das Dietrich-Keuning-Haus gebracht, ein nur wenige hundert Meter entferntes Veranstaltungszentrum. Lange Tische haben Helfer hier in der Nacht aufgestellt. Essen und Trinken wird verteilt, Dolmetscher, die die Stadt organisiert hat, streifen durch die Gänge. „Urdu, Dari, Kurdisch, Arabisch“, zählt Stadtsprecher Bußmann auf, was an Sprachen verfügbar ist. Später sind auch Übersetzer für Farsi da. Sie alle haben jede Menge Arbeit. Fast keiner der Ankömmlinge spricht Deutsch, nur wenige ein paar Brocken Englisch. Die Kinder bekommen Stofftiere und Malbücher, ihre Eltern Gelegenheit, die Mobiltelefone wieder aufzuladen.
Flüchtlinge in Dortmund
1/25
„Alles nette Leute“, sagt eine Helferin, die seit dem frühen Morgen Kaffee ausschenkt. „Da könnten sich viele Deutsche eine Scheibe von abschneiden.“ Die Flüchtlinge geben das Kompliment zurück: „Thank You Germany“, hat ein junger Mann auf ein Plakat geschrieben, das er nun durch die Halle trägt: „Danke Deutschland.“
Mit "Uschi-Reisen" in ein Auffanglager
Niemand wird registriert. „In Dortmund“, sagt Bußmann, „bekommen die Flüchtlinge eine erste Orientierung, dann fahren sie weiter.“ Busse stellt die Stadt dafür bereit. Aus den eigenen Beständen oder gechartert von privaten Unternehmen. Busse der Polizei gibt es, sie werden aber nicht eingesetzt. „Das hätte manchen Flüchtling vielleicht verunsichert“, glaubt ein Mitarbeiter des Ordnungsamtes. Deshalb geht es unter anderem mit „Uschi-Reisen“ in ein Auffanglager.
Am späten Nachmittag hat sich das Keuning-Haus wieder geleert. Erstes Schulterkopfen bei der Stadt. „Alles gut gelaufen bisher“, zieht einer ganz richtig Bilanz, stellt aber auch klar: „Jedes Wochenende können wir so etwas nicht bewältigen.“
Als am Bahnhof der nächste Zug mit Flüchtlingen einfährt, rückt am Nebengleis ein älteres Ehepaar aus Witten ein wenig näher zusammen. „Die Leute tun mir unendlich leid“, sagt die Frau, die ihren Namen nicht nennen möchte. „Aber langsam kriege ich Angst.“ Für Deutschland alleine, ergänzt ihr Mann, „ist das alles zu viel“. „Wir können nicht alle retten.“
Sie haben vermutlich einen Ad-Blocker aktiviert. Aus diesem Grund können die Funktionen des Podcast-Players eingeschränkt sein. Bitte deaktivieren Sie den Ad-Blocker,
um den Podcast hören zu können.