Berlin. Im Wahlkampf versprechen Politiker zwar nicht das Blaue vom Himmel, aber sonst so ziemlich alles. Nicht selten stellen sie nach der Wahl vöölig überrascht fest, dass ihre hochtrabenden Pläne nicht finanzierbar sind. Wir haben gesammelt: die zehn größten Wahlkampf-Lügen aus 60 Jahren Bundesrepublik.
Es ist das ewige Spiel um die Gunst des Wählers: Wo gewählt wird, wird geworben. Wo geworben wird, werden Versprechungen gemacht. Und wer Versprechungen macht, um gewählt zu werden, läuft Gefahr, sich zu versprechen - und eine Wahllüge zu produzieren. Was waren die größten Wahllügen der vergangenen Jahrzehnte rund um die Bundestagswahl? Zehn Beispiele:
1) Die Renten sind sicher
Das Wahlkampf-Zitat des damaligen Arbeitsministers Norbert Blüm steht inzwischen fast sprichwörtlich für große Worte, hinter denen wenig Substanz steckt.
Denn selbstverständlich wusste der CSU-Politiker Blüm, dass die Renten keineswegs auf ewig sicher waren, sondern vielmehr von der Lohnentwicklung abhängig. Auch dass die demographische Entwicklung (immer weniger Arbeitnehmer pro Rentner) dieses System vor unüberwindbare Probleme stellen würde, wird Blüm klar gewesen sein.
2) Blühende Landschaften im Osten
Der Wahlkampf 1990 stand ganz im Zeichen der Wiedervereinigung, die auch Anlass für die vorgezogene Neuwahl des Bundestags war. Und so legte Bundeskanzler Helmut Kohl seinen Wahlkampf-Fokus auf die Wiedervereinigung: "Blühende Landschaften" innerhalb kürzester Zeit versprach er seinen Anhängern, zudem finanziert "aus der Portokasse". Sprich: keine Steuererhöhungen.
Nach der Wahl zeigte sich schnell: Beides war völlig unrealistisch. In vielen Gebieten Ostdeutschlands sind die Folgen bis heute sichtbar. Zudem hat die Wiedervereinigung längst Milliarden an Steuergeldern verschlungen.
Keine Merkel-Steuer mit der SPD - oder doch?
3) Mit der CDU, aber ohne Adenauer
Politiker, die sich nach der Wahl nicht mehr so genau an ihre Worte vor der Wahl erinnern können, sind beileibe kein neues Phänomen. Schon im Wahlkampf 1953, die Republik war gerade erst vier Jahre alt, lockte die FDP potentielle Wähler mit dem Slogan "Weiter mit der CDU, aber ohne Adenauer".
Nach der Wahl regierten die Liberalen tatsächlich weiter mit der CDU. Aber Adenauer blieb noch neun weitere Jahre Bundeskanzler.
4) Keine Merkel-Steuer
Wie polterte Gerhard Schröder im Wahlkampf 2005: Mit ihm werde es keine Merkel-Steuer geben, die besonders die ärmeren Haushalte träfe. Die Rede war von der Mehrwertsteuererhöhung. Die Union hatte im Wahlkampf mutig angekündigt, die Steuer nach der Wahl um zwei Prozentpunkte erhöhen zu wollen.
Nach der Wahl fanden sich Union und SPD am Kabinettstisch in der Großen Koalition wieder. Und aus der SPD-Forderung "null Prozent mehr" und der CDU-Forderung "zwei Prozent mehr" wurden, richtig, drei Prozent mehr Mehrwertsteuer.
Was Westerwelle nicht unterschreiben wollte
5) Soli bis Ende 1999 weg
Die kollektive Begeisterung über die gelungene Wiedervereinigung hielt Helmut Kohl im Amt. Dass sich sein Versprechen der blühenden Landschaften als Ente herausstellte, störte die Wähler kaum. Als die Kosten der Wende zum Wahlkampf-Problem zu werden drohten, legte Kohl nach: Bis 1999 werde der Solidaritätszuschlag wieder abgeschafft.
Heute kämpft die FDP darum, den Soli 2019 zu beerdigen. Kohls Nach-Nachfolgerin Angela Merkel möchte ihn gern auch darüber hinaus noch erhalten.
6) "Ohne Steuersenkungen unterschreib ich nicht"
Mantra-artig wiederholte FDP-Chef Guido Westerwelle sein Credo: Er werde keinen Koalitionsvertrag unterschreiben, wenn darin keine umfassende Steuerreform verankert sei, die deutliche Entlastungen für die Bürger vorsehe.
Das war im Sommer 2009. Die anschließende Wahl katapultierte die FDP in neue Dimensionen: 14,6 Prozent. Doch trotz 93 liberalen Bundestagsmandaten ist von einer großen Steuerreform nichts zu sehen.
Der Ursprung der Umfaller-Partei
7) Mit den Linken? Niemals!
Nein, niemals, unter keinen Umständen. Vor der Landtagswahl hatte SPD-Spitzenkandidatin Andrea Ypsilanti ein - wie auch immer geartetes - Bündnis mit den Linken ausgeschlossen. Mit einer eigenen Mehrheit wollte sie Roland Koch stürzen und sich zur Ministerpräsidentin wählen lassen.
Nach der Wahl klang das anders. Gezwungenermaßen, denn der Wähler hatte Ypsilanti die eigene Mehrheit verweigert. Doch die Ankündigung, sich nun doch von links tolerieren zu lassen, kam schlecht an. Grüne- und SPD-Abgeordnete verweigerten die Gefolgschaft. Die Folge: Neuwahlen ohne Ypsilanti als Spitzenkandidatin.
8) Die Umfaller-Partei
Rund vier Millionen Menschen machten bei der Bundestagswahl 1980 ihr Kreuz bei der FDP. Nur die wenigsten dürften in diesem Augenblick damit gerechnet haben, dass sie das zu Steigbügelhaltern einer schwarz-gelben Koalition macht. Denn seit über zehn Jahren regierten SPD und FDP zu diesem Zeitpunkt schon zusammen das Land, erst unter Willy Brandt, dann unter Helmut Schmidt.
Das änderte sich 1982 schlagartig: Ein konstruktives Misstrauensvotum stürzte den Sozialdemokraten Schmidt und hievte gleichzeitig Helmut Kohl ins Kanzleramt. Möglich gemacht durch einen beispiellosen Schwenk der FDP, die seitdem gegen das Image als Umfaller-Partei kämpft.
Zerreißprobe für die Friedenspartei
9) Als die Friedensaktivisten in den Krieg zogen
Viel Zeit hatten die Grünen nicht, es sich in den Sesseln der Macht gemütlich zu machen. Erst wenige Tage waren sie im Herbst 1998 im Amt, als es das erste Mal so richtig ungemütlich wurde: Mit der Entscheidung, deutsche Soldaten zum Kriegseinsatz in den Kosovo zu schicken, brachen die Grünen nicht nur Wahlkampfversprechen, sondern verprellten auch zahllose Mitglieder.
Gleichzeitig verdienten sich die Realos um Außenminister Joschka Fischer mit der Entscheidung auch Respekt. Niemand konnte den Grünen mehr vorwerfen, sie seien realitätsferne Träumer, die nicht zur Regierungsarbeit fähig seien.
10) Die Haushaltsloch-Lüge
Manchmal ist es gar nicht so einfach zu sagen, was eine Lüge ist und was nicht. Für die Opposition war Finanzminister Hans Eichel im Wahlkampf 2002 ein Lügner: Sie warfen ihm vor, die katastrophale Lage des Staatshaushalts im Wahlkampf bewusst verschleiert zu haben.
Nach der Wahl beschäftigte sich sogar ein Untersuchungsausschuss mit der "Haushalts-Lüge". Endgültig geklärt wurden die Vorwürfe aber auch dort nicht. Finanzminister Eichel überstand die Affäre - und blieb bis 2005 im Amt.