Brüssel. Ein neuer EU-Vertrag kommt, Großbritannien will aber nicht mitspielen. Eine lange Nacht lang haben die Staats- und Regierungschefs Europas verhandelt - und sich letztendlich doch nicht einigen können. Auch Frankreichs Präsident Sarkozy gibt sich zufrieden. Es ist aber längst noch nicht alles gut.
Die europäischen Staaten proben den Befreiungsschlag im Kampf gegen die grassierende Schuldenkrise – allerdings ohne Großbritannien. Die auf ihre staatliche Souveränität bedachten Briten weigerten sich in der Nacht zum Freitag strikt, strengere Haushalts-Regeln im EU-Vertrag festzuschreiben. Das ist ein Rückschlag für Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy. Europa ist damit im Kampf gegen die Schuldenkrise gespalten.
Merkel gab sich beim EU-Krisengipfel zuversichtlich. „Die 17 Staaten der Eurogruppe müssen Glaubwürdigkeit zurückgewinnen - und ich glaube, mit den heutigen Beschlüssen kann und wird das gelingen", sagte die Kanzlerin am frühen Freitagmorgen, als sie das Brüsseler Ratsgebäude in Richtung Hotel verließ.
Auch Frankreichs Präsident Sarkozy war die durchverhandelte Nacht anzusehen, als er um fünf Uhr früh vor die Journalisten trat. Die Europäer hätten beschlossen, sich möglichst rasch strengere Haushalts- und Schuldenregeln aufzuerlegen, sagte Sarkozy mit rauer Stimme. So wollten sie künftigen Turbulenzen im Euro-Währungsraum vorbeugen. „Das sind sehr gewichtige Entscheidungen, die Europa tiefgreifend verändern werden.“
Die Frage, ob das nun der seit Monaten sehnsüchtig erwartete große Befreiungsschlag der Europäer in der Schuldenkrise sei, antwortete Sarkozy ausweichend. „Ich würde gerne sagen, dass es künftig keine Pressekonferenzen so früh morgens gibt und dass Nachtsitzungen nicht mehr nötig sind“, sagte der französische Präsident. „Aber wir leben im 21. Jahrhundert. Und die Dinge sind komplex.“
Neues Regelwerk
Sarkozy weiß, dass er und Merkel beim EU-Krisengipfel ein wichtiges Ziel nicht erreicht haben. Die strengeren Regeln und Bestrafungsmöglichkeiten für staatliche Haushaltssünder werden nicht wie von Deutschland und Frankreich gewünscht im EU-Vertrag festgeschrieben. „Unsere britischen Freunde“ ziehen nicht mit, sagte Sarkozy. Also müssen die Regierungen der 17 Euro-Staaten ein neues Regelwerk neben den EU-Verträgen schaffen, um sich wie geplant strengere Haushalts- und Schuldenregeln zu geben. Möglichst bis März soll alles fertig sein.
Von den restlichen zehn EU-Staaten, die den Euro nicht nutzten, zögen sechs Länder mit. Nur zwei Staaten schlössen sich definitiv nicht an, sagte Sarkozy: Großbritannien und Ungarn. Tschechien und Schweden würden prüfen, ob sie mitmachen. Im Laufe des Freitags stellte sich dann heraus, dass sich diese vier Staaten doch noch der von Frankreich und Deutschland durchgedrückten Rettungsstrategie für Europa anschließen wollen. Damit war Großbritannien isoliert.
Keine gemeinsame Lösung
Der britische Regierungschef David Cameron habe unannehmbare Bedingungen gestellt, um die EU-Verträge zu ändern, sagte Sarkozy. Dagegen half auch ein Dreier-Gespräch von Merkel, Sarkozy und Cameron vor Beginn des Krisengipfels am Donnerstagabend nicht. Der britische Premierminister wich trotz heftigen Drucks nicht von seiner Position ab.
„Cameron wünschte ein Protokoll im EU-Vertrag, das Großbritannien Ausnahmen von Regeln zur Finanzdienstleistungsbranche gewährt“, sagte Sarkozy. „Das war nicht möglich. Dies hätte einen großen Teil der Arbeit auf EU-Ebene in Frage gestellt, den Finanzmärkten strengere Spielregeln aufzuerlegen.“
Als Reaktion auf die Weltfinanzkrise 2008/09 verschärft die EU-Kommission seit einiger Zeit die Vorschriften für die europäische Finanzbranche. Diese florierte in den vergangenen Jahrzehnten vor allem in Großbritannien, das sich mit seiner Hauptstadt zu einem weltweit wichtigen Finanzdienstleistungszentrum entwickelte.
Unwillige Briten
Der britische Regierungschef David Cameron betritt am Freitag früh gegen 6.20 Uhr den Presseraum im Brüsseler Ratsgebäude. Anders als Sarkozy gibt sich Cameron vor den Journalisten energisch, selbstbewusst und kämpferisch. In seiner traditionell europaskeptischen Heimat stand der Brite unter Druck, nicht zu viel Zugeständnisse zu machen.
Cameron machte gar keine und ließ sich auch auf stundenlangen nächtlichen Druck seiner europäischen Amtskollegen nicht erweichen. „Ich bin froh, dass Großbritannien auch weiterhin keine Souveränität nach Brüssel abgeben wird“, sagte er.
Nachfragen, ob sich Großbritannien mit dieser Verweigerungshaltung nicht aufs europäische Abstellgleis manövriere, wies Cameron zurück. Im Gegenteil, findet er. „Ich bin stolz, nicht dem Euro-Raum anzugehören.“ Großbritannien werde „nie“ das britische Pfund zugunsten des Euro aufgeben.
Cameron sieht Europa eher als Netzwerk, bei dem jeder Staat nur dort mitmacht, wo er will. „Wir hatten immer ein Europa mit vielen verschiedenen Facetten“, sagt Cameron.
Für die Briten steht der gemeinsame europäische Markt im Vordergrund, auf dem Waren, Geld und Dienstleistungen unbehindert von einem EU-Land ins andere gelangen können. Für Großbritannien ist wichtig, dass die Euro-Länder die Schuldenkrise in den Griff bekommen, damit deren Folgen nicht auch die britische Wirtschaft belasten. Daher sagte Cameron in Richtung Deutschland, Frankreich und den anderen Euro-Staaten: „Wir wünschen ihnen Erfolg.“