Essen. Europa kritisiert die deutschen Versuche, den tödlichen Erreger zu finden. Zu viele Zuständigkeiten erschweren schnelle Entscheidungen. Eine zentrale Behörde wie in den USA wäre vielleicht ein Ausweg.
„Wir suchen die Stecknadel im Heuhaufen“, sagt Harry Sauer. Sauer ist Vize-Chef beim Bundesverband der Lebensmittelkontrolleure. Ein Teil der 2500 Fahnder, die hier organisiert sind, kennt derzeit nur einen Feind: Ehec 0104:H4. Der Darmkeim hat 21 Menschen auf dem Gewissen. Hunderte sind schwer erkrankt. Seit einem Monat ist die Jagd nach dem Killerkeim eröffnet. Sie ist bisher erfolglos.
Europa spricht vom „deutschen Chaos“. Für die Fraktionschefin der Grünen im EU-Parlament, Rebecca Harms, fehlt „eine klare Kompetenzaufteilung“. Hans-Michael Goldmann (FDP), Vorsitzender des Verbraucherausschusses im Bundestag, sieht das ähnlich. Er fordert Behörden-Fusionen. Packt Deutschland die Suche falsch an?
Darauf gibt es Hinweise. Das entscheidende Problem sei sicher der Erreger, sagt Prüfer Sauer. Es sei schwierig. Aber man lerne nie aus, und eine der Konsequenzen aus so einem Vorgang könne sein, dass man „darüber nachdenkt, die Bewältigung solcher Extremlagen in eine Hand zu legen“. Die Amerikaner haben ihre zentrale „Food- and Drug-Administration“ (FDA). FDA könne so eine Lösung für Deutschland sein, sagt Sauer.
Länder haben das Sagen
Dass die Bekämpfung der tödlichen Seuche nicht in einer Hand liegt, ist offenbar. An der Jagd ist ein Konvolut von Bürokratie beteiligt: Zwei Bundesministerien (Gesundheit und Verbraucherschutz), zwei Bundesbehörden (Robert Koch-Institut mit 760 Mitarbeitern; Bundesamt für Risikobewertung mit 750), wobei das Bundesamt für die Warnung der Bevölkerung zuständig ist und das Koch-Institut für die Enttarnung des Erregers, das Amt aber auch das Referenzlabor betreibt, das dem Koch-Institut beim Enttarnen hilft. Mehrere Universitätslabore machen noch mit, vor allem das der Uni Münster. Schließlich 16 Bundesländer mit eigenen Gesundheits- und Verbraucherressorts und 300 Landkreise, denen die Lebensmittelkontrolle obliegt.
Verderben zu viele Köche den Brei?
Trotz eines funktionierenden EU-Schnellwarnsystems haben die Länder bei Suche wie Information das Sagen. Das hat aber schon die Meldungen über erste Ehec-Krankheitsfälle erschwert, weil die Gesundheitsbehörde Hamburgs die Sache unter der Decke hielt. Bis in die letzten Stunden hinein führt die Länderkompetenz überdies zu verwirrender Vielstimmigkeit: Die Behörden der betroffenen Hansestadt machten spanische Gurken für Ehec verantwortlich, was falsch war. Niedersachsen hält Sprossen für schuldig, was noch nicht bewiesen wurde. Und während NRW, Bayern und das Saarland den Verbrauchern raten, auf Rohkost komplett zu verzichten, beschränkt der Bund den Warnhinweis auf Tomate, Gurke, Salat und Sprossen.
Mehr noch als die Warnmeldungen beunruhigt indes das kriminalistische Ergebnis: Einen Monat nach Ausbruch der Krankheiten gibt es keine Spur zum „Täter“. Verderben zu viele Köche den Brei? Nicht zum ersten Mal debattiert die Republik also die Wirksamkeit der Lebensmittelüberwachung. Eine Art „Lenkungsausschuss“ beim Bund, der nur in Krisenzeiten tagt, scheint unzureichend.
Die Skandal-Chronik
Dabei haben Lebensmittelskandale wie Gammelfleisch (mehrfach), Dioxin versetzte Eier (2011) und Listerienkäse (2010) immer Schlagzeilen gemacht. Verdorbene Sülze ließ 1920 Hamburg protestieren. 1985 stürzt eine Warnung vor verseuchten Nudeln das Unternehmen Birkel fast in die Pleite. Verantwortlich: Baden-Württemberg. Auch 1985 liefern österreichische Winzer mit Frostschutz verpanschten Wein. Mainzer Landespolitiker wussten davon. Fast wäre die Gesundheitsministerin Rita Süßmuth (CDU) gekippt.
Tatsächlich zurückgetreten ist dann 2001 Andrea Fischer. Die grüne Bundesgesundheitsministerin stand dafür, dass ihre Behörden das erste deutsche Rind verschwiegen hatten, das an der Tierseuche BSE gestorben war.
An BSE ging bisher kein Bundesbürger zugrunde. Ehec kostete 21 das Leben.