Mülheim. . Wilhelm Knabe (91) gehört zu den Gründern der Grünen. Seine Vision: eine weltweite grüne Bewegung. Sein Motto: „Wir leben auf dem Raumschiff Erde – aussteigen unmöglich“.

Das richtige politische Maß ist ihm wichtig. Wilhelm Knabe (91) hält einen Zollstock waagerecht zwischen den Händen. „In diesen Kategorien denken die meisten. Es gibt rechts und links“, sagt der Senior, der oft als „grünes Urgestein“ bezeichnet wird. Er selbst aber ordnet die Welt und seine Partei nicht in rechts und links. Knabe dreht den Zollstock, bis er senkrecht steht. „Das ist es: oben und unten. Es gibt nur ökologisch und unökologisch.“

Wilhelm Knabe denkt, fühlt und handelt grün. Seit er auf der Welt ist. Schon als Jugendlicher, in der NS-Zeit, hat er in der Naturbeobachtung Trost und Sinn gefunden. In der frühen DDR spendete er als Forstwissenschaftler den Mondlandschaften des Braunkohletagebaus wieder grünes Leben. Später, im Westen, schuf er mit Gleichgesinnten die Grünen.

Knorrig, lebendig, aufrecht

Nicht einmal das Wort „Urgestein“ passt so recht zu diesem Senior. Denn seine Leidenschaft sind: Bäume. Vor Knabes Haustür in Mülheim steht ein Mammutbaum, gepflanzt 1967, zum Einzug ins Eigenheim. Ein mächtiges Gewächs inzwischen, wie sein Besitzer tief verwurzelt im Ruhrgebiet. „Legen Sie Ihre Hand auf die Rinde und spüren Sie, wie weich sie ist, wie der Baum die Wärme der Haut zurückgibt.“ Es ist ein persönliches Verhältnis, das zwischen Baum und Mann. Knabe selbst ist so: knorrig und rau, voller Leben, aufrecht – und grün.

Er hat vorm Waldsterben gewarnt, lange bevor alle Welt vom „sauren Regen“ sprach. Auf seine Initiative hin wurden in den 1980er-Jahren Waldbeobachtungsflächen eingerichtet, die noch heute Aufschluss geben über den Zustand der Bäume in Deutschland. Und Knabe hat als politischer Naturschützer einiges einstecken müssen. Von Konservativen sowieso, von sozialdemokratischen „Grünen-Fressern“ wie Klaus Matthiesen und sogar von engen Bekannten. „In unserem Turnverein hat mir der Vorsitzende 1982 nicht mehr die Hand gegeben, weil er meinte, die Grünen seien eine Kommunistentruppe“, erinnert sich Knabe. Im Büro musste er jede Stunde, die er in die Parteiarbeit steckte, vor- und nacharbeiten. „Wer im öffentlichen Dienst oder etwa in der Energiewirtschaft tätig war, hatte als Grüner nichts zu lachen. Mobbing von oben haben viele erlebt. Da war ich nicht der einzige.“ Dazu kamen die Geburtswehen einer jungen, wilden Partei. Die Debatten mit grundverschiedenen Persönlichkeiten wie Petra Kelly („eine Prophetin“) oder Jutta Ditfurth („Sie hatte eine Tendenz, zu spalten“). Die vielen Strömungen innerhalb der Grünen bekämpften sich „mit gnadenloser Härte“, sagt Knabe.

Kampf gegen den Bau der A 31

Im Ruhrgebiet gab es aus seiner Sicht bei den politisch Verantwortlichen lange überhaupt kein Empfinden für den Naturschutz. „Ich habe gegen den Bau der Autobahn A 31 gekämpft. Wir sammelten 100 000 Unterschriften, aber das war den Parteien einen Dreck wert. Auch aus diesem Frust heraus wuchs der Wunsch nach einer neuen Partei.“

Dass die Grünen längst zu den Etablierten zählen, dass sie sogar einen Ministerpräsidenten stellen, erfüllt Knabe mit Stolz. Aber er spürt auch Unbehagen: Wir müssen uns immer fragen: Ergänzen wir unsere Ideale oder opfern wir sie?“ Beim Naturschutz seien sich die Grünen treu geblieben; das Prinzip der Gewaltlosigkeit indes stehe seit dem Nato-Einsatz auf dem Balkan infrage. Der Pazifist Knabe macht sich so seine Gedanken dazu.

Das Altern sorgt den bereits Hochaltrigen nicht sehr. Wilhelm Knabe ist nicht nur rüstig. Er ist fit. Weil er wandert und schwimmt, weil er auf seinen Körper hört, weil er Menschen mag. „Vielleicht“, sagt der Forstexperte durchaus ernsthaft, „geht es mir so gut, weil die Natur mir etwas von dem zurückgibt, was ich ihr gegeben habe.“ Zum Schluss des Gesprächs zeigt Knabe ein Geschenk von Freunden, über das er sich besonders gefreut hat: einen goldenen Zollstock. Für das ihm eigene politische Maß.