Kfarnabrak. . Suha, Jamil, Nael und Nemaa erzählen von ihren Erlebnissen im syrischen Bürgerkrieg.Ihre Spenden können ihnen helfen, ihre Geschichten zu verarbeiten.
Fünf Millionen Kinder, schätzen die Vereinten Nationen, sind vor dem Bürgerkrieg in Syrien geflohen, Hunderttausende allein ins Nachbarland, den Libanon. Und jedes von ihnen hat (s)eine eigene, traurige, schreckliche Geschichte zu erzählen.
Suha hat ein Gedicht geschrieben, in geschwungenen arabischen Buchstaben steht es in einem Schulheft – nur geht die Zwölfjährige gar nicht zur Schule, es gibt dort keinen Platz für sie. „Syrien, du bist wie eine Träne auf unseren Wangen“, dichtet Suha, „Millionen Menschen weinen.“ Das Mädchen liest nicht selbst, es schämt sich und ist doch stolz zugleich. „Meine Mama“, geht es weiter, „weine nicht, wenn du mich siehst in meiner Angst. Meine Stärke ist meine Würde. Ich werde nicht zulassen, dass sie mir jemand nimmt.“
Und das, obwohl Suha sich lange im Keller verstecken musste, in der Nachbarschaft kamen so viele um. Zwei Onkel hat sie verloren, man hat auf sie geschossen, die Familie durfte sie nicht mal mehr beerdigen. „Oma“, sagt Suha, „weint immer.“ Sie erzählt das, während die anderen Kinder um sie herum spielen, zwei kleine Mädchen hören gebannt zu. Das Schutzzentrum der Kindernothilfe „macht mich glücklich“, sagt Suha und drückt ihr Gedicht an ihre Brust.
Jamil ist erst 13 und trotzdem kein Kind mehr. Er würde so gern schreiben lernen und lesen, aber Jamil muss arbeiten: Sie sind zehn Kinder in dem Zimmer, das ihre Zuflucht geworden ist, sie wollen alle essen. Also steht Jamil um vier Uhr auf, hilft einem Händler beim Einkauf; manchmal kommt er erst nachts zurück. Das Schönste am Tag aber sind die paar Stunden „Pause“ im Kinderschutzzentrum.
Es ist ein gutes Leben, wenn man bedenkt, wie Jamils Leben in Syrien war. „Dramatisch“, sagt seine Therapeutin, er selbst spricht nicht gern darüber. Wenn mal wieder die Bomben kamen über sein Heimatdorf, dann ging Jamil mit seinem Onkel, die Verletzten fortzutragen und die Toten zu begraben. Er sammelte leere Patronenhülsen und verkaufte sie. Einmal zwang ihn ein Soldat mit vorgehaltener Waffe, in den Krieg zu ziehen, der Onkel befreite ihn im letzten Moment.
Sie sagen über den Jungen, er sei wie ein Erwachsener, dabei sollte ein 13-Jähriger doch spielen.
Nael versucht nicht hinzusehen, wenn der Fernseher läuft. Er läuft immer in dem schimmeligen Keller, in dem der Zwölfjährige mit seinen fünf Geschwistern wohnt, wo sie essen an einem „Tisch“, der nur ein Stück Plastikfolie ist auf dem Boden. Im Fernsehen ist Feuer, sind Soldaten, Syrien also, wo Nael vor einem halben Jahr noch wohnte. Wo er schon zu viel gesehen hat.
„Manchmal kamen die Rebellen, manchmal Assads Leute“ zu seinem Haus, sie schnitten seinem Cousin mit einem Messer in den Hals, später nahmen sie ihn mit. Nael hat bis heute keine Ahnung, warum und wohin. Ihn selbst haben die Männer geschlagen, „bis ich nichts mehr sehen konnte“. Wieso? Er weiß es nicht. Er weiß nur, dass „die ganze Straße immer voller Blut“ war, Nael erzählt viel von Blut, von aufgeschnittenen Handgelenken, abgeschnittenen Haaren, er bleibt dabei ganz ruhig.
Im Libanon verkauft er manchmal Milch, für kaum zwei Euro am Tag; im Kinderschutzzentrum sagen sie, das sei nicht sicher, ein Junge, allein an fremden Türen. Aber Nael meint, er muss Geld verdienen, er kann ja nicht zurück in das Land aus dem Fernsehen.
Nemaa trägt immer helle Farben, heute hat sie einen gelben Puschelpulli an und die Fingernägel orange lackiert. Sie macht das, um Licht in all’ das Dunkle in ihrem Kopf zu bringen, um das Blut zu übermalen, das die Zwölfjährige gesehen hat zuhause in Al Qunaitra, Syrien.
Die Bilder von Soldaten, die ihr Elternhaus umringten. Vom Spielplatz, auf den eine Bombe fiel und einem Kind den Kopf abriss. Von schweren Waffen, Staub und Leichen. Atemlos erzählt Nemaa das, sie rümpft die Nase: „Da war ein Körper ohne Kopf vor der Schule, ich hatte solche Angst!“ Das Mädchen hat nicht verstanden, wer die Männer waren, die Menschen erst entführten und dann tot auf die Straße legten, aber wohl, was sie wollten: „Wir sollten nicht mehr in die Schule gehen.“
Lehrerin will Nemaa einmal werden oder Doktor. Damit sie alles wieder gut machen kann, die Verletzungen in Mamas Gesicht und die auf Papas Seele: „Er kann keine Arbeit finden, dabei ist er erst 40!“ Anfangs, im Kinderschutzzentrum, hatte Nemaa Angst vor allem, heute liebt sie diesen Ort: „Weil hier keiner schießt.“