Kfarnabrak. . Die Al Saris haben sich aus Syrien in den Libanon gerettet, dabei verlor eine Tochter ihr Leben. Ein feuchter Keller ist nun ihr Zuhause.

Der Ort, an dem Fadi wohnt, ist ein Loch. Ein feuchter Keller, zwei Schaumstoffmatten, kein Stuhl, kein Tisch und nicht einmal Putz an den groben Wänden. Durch leere Fensterhöhlen fällt fahles Licht, neulich aber fiel Schlamm herein, ein zäher Brei von den regennassen Hügeln. Seither riecht es nach Schimmel und nach nassen Pappkartons: Fadis Mutter Sabah nutzte sie als Regal.

Sechs sind sie hier, die Al Saris aus dem syrischen Al Qunaitra, am Rande der Golan-Höhen, dabei waren sie sieben vor ihrer Flucht. Vater Ghesab zeigt mit müden Gesten, was der vierjährigen Tochter geschah: Er hatte sie ins Auto gesetzt, sie wollten zu Verwandten, als die Bombe kam. Die Familie sah mit an, wie der Sprengstoff ihr Kind zerriss. „Ich war so traurig“, sagt Fadi, elf Jahre alt. Im Libanon, wohin sie sich retteten, ist den Al Saris nichts geblieben als dieser Keller; umgerechnet 160 Euro müssen sie für die Miete im Monat zahlen. In anderen „Zimmern“ drängen sie sich deshalb zu zehnt.

Die Syrer sind trotz allem froh über ihre Zufluchtsstätte

Der Libanon hat keine Lager für die Flüchtlinge, er hat kaum eine Lira für sie – er hat solche Löcher. Leerstehende, oft unfertige Wohnhäuser verteilen sich wie stehengebliebene Dominosteine auf den Hügeln des Mount Lebanon, gebaut von Einheimischen, die einst selbst vor dem Bürgerkrieg flohen und von der Heimkehr träumen. Oder von reichen Städtern, die hier nun etwas Geld verdienen können. Und die Syrer sind ja froh über diese Zuflucht, sie haben ein Dach, schützende Wände und immer auch ein paar Tücher, die sie davor hängen können.

So macht es auch Josek mit ihrer Tochter Hanaa, die im selben Haus wohnt wie die Al Saris, eine Treppe hoch. Auf dem Lappen vor ihrem Fenster sind noch Disneys Prinzessinnen zu erkennen, Josek aber träumt von zuhause, sie hat gehört, „dort leben noch ein paar“.

Vom Ersparten ist nichts mehr übrig

Wenige Häuser weiter haben die Hazeems es etwas besser getroffen, mit ihrem Teppich, der mal grün gewesen sein muss, und einem windschiefen Metallschrank. Nur, wie lange noch? Sie sind die Miete schon vier Monate schuldig geblieben, das Ersparte ist längst aufgebraucht. Vater Mahmoud kann nicht mehr arbeiten, sein Rücken ist kaputt, nun geht der Sohn Oliven pflücken und manchmal Holz hacken: Gelegenheitsjobs, dabei ist er erst 15.

Viele Väter hier sind gebrochene Männer, einst stolze Muslime, die nun ihre Familien nicht mehr versorgen können. Manche sind in Syrien geblieben oder sogar in den Krieg zurückgekehrt, um ein paar Lira zu verdienen. Die wenigsten finden Arbeit im Libanon, dessen Bevölkerung selbst zu einem Drittel erwerbslos ist, und mit dem Winter wird das schlimmer werden. Den Rest gibt den Flüchtlingen der Kummer. Fadis Vater Ghesab mit seinen traurigen Augen sieht aus, als könne er längst Rentner sein – dabei ist er erst 43. „Dieser Krieg“, sagt Rana Dahouk, Projektkoordinatorin für die Kindernothilfe und selbst aus Syrien geflohen, „nimmt den Menschen das Leben.“

Im Kinderschutzzentrum kann Fadi sich die Bilder von der Seele malen

Wenigstens versucht die Kindernothilfe, das Leben der Kinder ein bisschen besser zu machen. Sie holt Fadi, seine Geschwister und 150 andere Kinder in ihr Kinderschutzzentrum, wenigstens für ein paar Stunden am Tag. Denn der miefige Keller ist kein Ort für einen Künstler, wie Fadi gern einer wäre. Ein verschmitzt dreinblickender Junge ist er, der malen will, aber weder Stifte hat noch Papier. Er hat es gern, wenn jemand mit den Fingern durch seine freche Haartolle fährt, die Haare bleiben immer stehen. So widerspenstig wie Fadi: Aggressiv sei der Elfjährige, sagen die Leute im Kinderschutzzentrum.

Man kann das kaum glauben, wenn man ihn sieht, aber muss es glauben, wenn man ihn hört. Diese Geschichte mit seiner Schwester. Und diese: wie er eines Tages zur Schule kam, und an ihrem Tor hingen ein Arm und ein Bein. Der Junge erzählt hastig, auch von der Leiche auf der Straße, der sie den Kopf auf den Bauch gelegt hatten. Manchmal lächelt er dabei. Fadi hat keine Alpträume mehr, seit er sich all diese Bilder von der Seele gemalt hat im Kinderschutzzentrum von Kfarnabrak. Aber manchmal schlägt er um sich. Er schützt die Geschwister, die ihm blieben.

Die Sozialtherapeutin Fayrousa Nasr sagt, sie brauche mehr Kollegen auf dem Schulhof, zu viele Kinder seien so wie Fadi. Sie spielen, aber zu oft spielen sie Krieg.