Kfarnabrak. . Im Kinderschutzzentrum „Al Mahaba“ in den libanesischen Bergen versuchen Therapeuten, die Jüngsten unter den Millionen Flüchtlingen zu trösten. Der Krieg in Syrien hat sie traumatisiert

Shireen weiß genau, wie Bomben klingen. Syrische Kinder wissen sowas. „Ssssssss“ macht Shireen; der lange, scharfe Laut fliegt durch den kalten Raum. Wenn die Bomben kamen daheim in Al Qunaitra, hörten die Vögel auf zu singen, so erzählt die 13-Jährige das, und sogar die Hühner haben sich versteckt. Shireen muss ein bisschen lachen, als sie sich erinnert: wie es rannte, das Federvieh!

Sonst aber war nichts mehr zum Lachen, dort, wo Shireen herkommt. Wo auch Mahmoud und Mohammed ihr Zuhause hatten, Suha und Nael, all’ diese Kinder, die in einem Krieg wohnten, den ihr Land noch immer nicht so nennen will. So wie es abstreitet, wovon die Kinder do ch erzählen: Fass- und Splitterbomben, solchen, aus denen Nägel kommen, und anderen, die „den Himmel ganz gelb machen“.

Die Kindernothilfe betreut hier 150 Kinder

Shireen verließ diesen Ort am Tag, nachdem ihre Tante starb. Die Explosion geschah in dem Zimmer, in dem das Mädchen gerade noch gewesen war, es hat „das ganze Blut gesehen“, die Schreie hallen noch ein Jahr später in seinem Kopf. Sie rannten fort, Mama mit ihrem Asthma und dem Baby im Bauch, Papa und die sieben Schwestern, sie flohen aus ihrer Heimat, wie eineinhalb Millionen andere über die Berge ins Nachbarland: den Libanon, diesen politisch wie religiös doch ebenfalls zerrütteten Staat. Der selbst nur vier Millionen Bürger hat, und die Flüchtlinge aus Syrien leben mitten unter ihnen.

Deshalb auch gibt es in dieser Mitte einen Ort, den sie „Kinderschutzzentrum“ nennen, dessen englischer Name ihn aber besser beschreibt: „Childfriendly space – kinderfreundlicher Raum“. Hier betreut die Kindernothilfe 150 Flüchtlingskinder, fängt sie auf. „Al Mahaba“ heißt die alte Schule, in der die Kinder einfach tun dürfen, was Kinder tun – spielen, toben, tanzen. „Al Mahaba“ bedeutet „große Liebe“, und nur so geht es, sagt die Sozialtherapeutin Fayrousa Nasr. „Liebe, Liebe, Liebe“ ist ihr Pflaster für die wunden Seelen.

An diesem Morgen, einem der letzten sonnigen, bevor der Winter kommen soll über den Mount Lebanon in über 1000 Metern Höhe, dürfen die Kinder noch mal hinaus auf den Hof: Sie hüpfen im Kreis wie die Frösche, machen „Miau“ wie die Katzen und „Wau“ wie die Hunde. Am Rande aber sitzen immer zwei, drei, die traurig daran denken, was Bomben machen. Ssssssss. Auch Shireen hat eben noch so gesessen, schwere Tränen in den dunklen Augen. Am Vortag hat sie wieder Bilder im Fernsehen gesehen aus Syrien. Bilder des Grauens, Kriegsbilder. Sie ist ihnen entronnen, aber sie hört wieder die Schreie, fühlt die Hitze des Feuers und die Angst im Bauch. Fayrousa nimmt Shireen in den Arm und atmet mit ihr, ein, aus, bis sich die weiß verkrampften Finger lösen.

Locator Libanon Kindernothilfe.jpg

Die Kinder "haben ihre Kindheit verloren"

Die 13-Jährige ist ein zartes Mädchen, schmal unter ihrem sorgfältig gesteckten Kopftuch, die Füße in abgewetzten Schuhen, von denen das Kunstleder blättert. Sie sieht so viel jünger aus; beinahe alle Kinder hier wirken klein für ihr Alter, dabei sind sie in ihrem Inneren schon so reif. „Sie haben ihre Kindheit verloren“, sagt Karl Andersson. Er arbeitet nun schon mehr als ein Jahr mit den syrischen Kindern von Kfarnabrak, hat das Projekt der Kindernothilfe aufgebaut.

Er hat auch dieses Schulgebäude angemietet und aus den ungeheizten Räumen einen warmherzigen Ort gemacht. In einem hängen die Bilder, die die Kinder in ihren Therapiestunden malen. Shireen hat sich selbst gezeichnet, sie hält sich die Ohren zu und weint. „Stop Killing“, hat sie darüber geschrieben, darunter liegt blutend ein Mensch. „Wir warten auf Hilfe“, erklärt Shireen, „aber es kommt keine.“

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Auf anderen Bildern ist eine weinende Sonne zu sehen oder ein Haus mit einem Männchen darin. Zuhause bin ich sicher, wollte der kleine Künstler damit sagen. Glaubten die Erwachsenen, bis sie sahen: Das Männchen hat nur einen Arm. 20 Zeichnungen, und alle zeigen eigentlich dasselbe: Bomben und Pistolen. Und Blut, so viel Blut. Rot ist immer Blut. „Wie viel Schmerz“, fragt Therapeutin Fayrousa, „kann ein Kind ertragen?“

Alle haben einen Wunsch: Sie wollen nach Hause

Sie und ihre Kolleginnen, die die Kindernothilfe hier beschäftigt, versuchen, für die Kinder etwas zu ändern. „Ich wünschte“, sagt Fayrousa, „ich könnte ihnen Essen bringen, die Miete bezahlen und nicht nur Tränen trocknen.“

Dabei ist das schon viel. „Man darf nicht denken“, sagt Fayrousa, „dass unter diesen Kindern nur ein einziges ist, dass nichts gesehen hat, kein Blut, keinen Tod.“ Und alle haben sie nur diesen einen Wunsch: Sie wollen nach Hause. Nur können sie nicht zurück, die Bomben sind noch da, ihr Haus aber meist nicht mehr. „Das geht ja nicht nur ein paar Monate oder ein Jahr“, seufzt Karl Andersson. Es sind jetzt schon drei Jahre. Und immer mehr Kinder, die in den Libanon kommen. Viele haben noch keinen Platz gefunden in diesem Land und erst recht keinen in einer der überfüllten Schulen. Andersson aber sucht sie in ihren Dörfern, er lässt sie mit einem Bus ins Kinderschutzzentrum holen. „Wir können nicht alle ihre Probleme lösen, aber wir versuchen es.“

Und so kommt es, dass sie an diesem Tag tanzen. Jemand hat Luftballons gebracht, Musik liegt in der flirrenden Luft, es sind friedliche Kinderlieder von Küken und Häschen, in denen der böse Fuchs nie gewinnt. Auch Shireen singt mit, lacht über das ganze sonst so ernste Gesicht. Ein anderes Mädchen tanzt in einem rosa T-Shirt. Es wird das nicht wissen, es versteht kein Englisch, aber auf seiner Brust steht „Feel free“: Fühl dich frei.