Wetter/Witten/Herdecke. . An der Universität Witten/Herdecke wird ein neuer Stiftungslehrstuhl für Behindertenorientierte Zahnmedizin eingerichtet. Er soll Anfang 2015 seine Arbeit aufnehmen. Die Verantwortlichen erhoffen sich dadurch auch mehr Schlagkraft bei den Verhandlungen mit den Krankenkassen.
Menschen mit Behinderungen brauchen häufig eine besondere Versorgung, auch wenn es um die Zähne geht. Doch die Möglichkeiten sind hier begrenzt. Kaum eine Praxis ist auf Rollstuhlfahrer oder schwer mehrfachbehinderte Patienten eingerichtet. Und auch wenn es um die Forschung geht, geraten diese Patienten kaum in den Blick. Das soll sich nun ändern, denn an der Universität Witten/Herdecke wird ein Stiftungslehrstuhl für Behindertenorientierte Zahnmedizin eingerichtet, der Anfang des kommenden Jahres seine Arbeit aufnehmen soll.
Seit 25 Jahren ist die zahnmedizinische Ambulanz der Uni bereits erste Anlaufstelle für Patienten mit Behinderungen. 1800 Patienten werden im Jahr behandelt. Und auch die Studenten bekommen in Witten eine Expertise für die Behandlung dieser Menschen mit Handicap. „Doch das Fach macht so recht keine Fortschritte“, sagt Professor Dr. Stefan Zimmer, Leiter des Departments für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde. Dabei gerate die Frage nach Behandlungsmethoden für behinderte Menschen immer mehr in den Blickpunkt. „Auch Demenzpatienten gehören dazu, da sie nicht mehr wie andere Patienten auf Ansprache reagieren können“, so Zimmer.
Behandlungen oft unter Vollnarkose
Wie schwierig die Situation für die Behinderten und auch ihre Pflegekräfte ist, weiß Anja Schleiden, Leiterin der Sonderpflegeeinrichtungen der Evangelischen Stiftung Volmarstein. „Mit welchem Problem soll ich anfangen“, sagt sie zu Beginn des Gesprächs. „Es sind viele!“ Selbst in einer Stadt wie Wetter, in der zahlreiche Behinderte ein Zuhause haben, finden sie kaum einen Zahnarzt, der auf ihre Bedürfnisse eingehen kann. „Weder räumlich, noch was die Ausstattung angeht“, sagt Schleiden.
Dabei geht es nicht um Barrierefreiheit im klassischen Sinne. Wer mit einem E-Rolli kommt, kann nicht im normalen Behandlungsstuhl sitzen. Wer seinen Körper nicht unter Kontrolle hat, kann bei einer Behandlung nicht ruhig bleiben. „Die meisten Behandlungen müssen unter Vollnarkose stattfinden“, sagt Schleiden. Und da fehlen wiederum Anästhesisten, die sich mit der Behandlung Behinderter auskennen.
Wartezeiten werden immer länger
Ein Problem, das auch Professor Zimmer erkannt hat. Mehr Lehre und Forschung auf diesem Sektor soll aber nicht nur durch dann besser ausgebildete Zahnärzte Verbesserungen für die Behandlung bringen. Zimmer erhofft sich mit dem Lehrstuhl auch mehr Schlagkraft bei den Verhandlungen mit den Krankenkassen. Denn eines ist auch ohne wissenschaftliche Aufarbeitung sicher: Die Behandlung behinderter oder dementer Patienten benötigt viel Zeit. „Und die wird nicht vergütet“, sagt der Mediziner.
Immer mehr Universitätskliniken verabschiedeten sich aus diesem Grund auch von der Behandlung dieser Patienten. Ein Umstand, den Anja Schleiden mit ihren Schützlingen, direkt zu spüren bekommt. „Die Wartezeiten werden immer länger“, so ihre Erfahrung.
Gebiss richtig pflegen
Verbesserte Behandlungsmöglichkeiten für Behinderte sind ein Thema, mit dem sich angehende Zahnmediziner in Witten künftig noch tiefer beschäftigen können. Zweiter Schwerpunkt könnte die Prävention sein. Doch auch die unterscheidet sich von der für alle übrigen Patienten. Denn vielfach sind Behinderte und auch Demente nicht in der Lage, ihr Gebiss entsprechend zu pflegen. „Hier bräuchten Pflegekräfte viel mehr Zeit“, sieht auch Anja Schleiden. Defizite bei der Betreuung. Zumal angeborene Fehlstellungen oder durch Nebenwirkungen von Medikamenten ausgelöste Zahnprobleme die Pflege nochmals schwieriger machten.
Stefan Zimmer ordnet unter Prävention auch Behandlungsmethoden ein, die ein Gebiss robuster machen. „Ist eine Demenz absehbar, müsste man die Zähne so ertüchtigen, dass sie die nächsten 20 Jahre auch mit wenig Pflege überstehen“, formuliert er mögliche Ansprüche an die Forschung.