Witten. Peter Thiemann liegt nach einem Autounfall und einer Hirnblutung seit elf Jahren im Wachkoma. Bei der Räumung seiner Wittener Wohnung hat eine Pflegerin drei Bilder, die der 46-Jährige selbst gemalt hat, einfach „entsorgt“. Das war zu viel für seine Mutter Christel, die einen Strafantrag wegen Diebstahls stellte.
Einige Leser werden sich an das Schicksal von Peter Tiemann erinnern, über den unsere Zeitung Weihnachten 2003 groß berichtete. Nach einem Autounfall und einer Hirnblutung lag der damals 36-jährige Wittener da bereits 14 Monate im Koma.
Trotzdem wählte sein Arbeitgeber Siemens den Maschinenbauingenieur, der sich in Mülheim der Entwicklung der „perfekten Turbine“ gewidmet hatte, damals mit anderen zum „Erfinder des Jahres“. Tiemann, inzwischen 46 Jahre alt, liegt noch immer im Wachkoma, wird professionell betreut in einem Pflegezentrum in Unna-Königsborn. Mutter Christel Tiemann und ihr Lebensgefährte Ulrich Thomas sind sich sicher, dass er seine Umgebung wahrnimmt. „Wenn es zum Abschied kommt, kriegt er immer rote Augen und manchmal laufen dicke Tränen seine Wangen runter.“
Ein begnadeter Hobbykünstler
Christel Tiemann trägt schwer an dem Los ihres einzigen Kindes. Jetzt ist etwas passiert, was „mir fast das Herz herausgerissen hat“. In der ursprünglichen Familienwohnung der Tiemanns an der Ardeystraße – der 1997 verstorbene Ehemann hatte unten sein Juwelier- und Goldschmiedgeschäft – sind drei Bilder abhanden gekommen, die Peter Tiemann junior gemalt hatte. Der Ingenieur, der auch Kurse am Musischen Zentrum der Ruhr-Uni belegt hatte, war auch ein begnadeter Maler und Bildhauer, davon zeugen die Bilder und Skulpturen im heutigen Haus der Mutter.
Die drei Bilder aus der Wohnung an der Ardeystraße, die Christel Tiemann bis heute gehört, sind aber unweigerlich verloren. Vor allem das gerahmte Bild aus dem Flur war für sie von unschätzbarem Wert. Im surrealen Stil zeigte es einen weiblichen Akt und im Vordergrund einen Goldfisch, der in einem Sektglas schwamm. Doch von dem Bild, das die Mutter nach dem Freiwerden der Wohnung in diesem Frühjahr eigentlich ihrem Sohn nach Königsborn bringen wollte, ist nichts geblieben als ein weißer Fleck an der Wand.
Patenonkel wohnte in der Wohnung
Nach ihrem Umzug in das Haus ihrer eigenen Eltern hatte Christel Tiemann die Wohnung an der Ardeystraße zuletzt vier Jahre lang einem guten Bekannten zur Verfügung gestellt, dem Patenonkel des im Koma liegenden Sohnes. Er hatte Schulden, so überließ sie ihm die Wohnung mietfrei. Die letzten Jahre war er aufgrund einer schweren Krankheit ein Pflegefall. Die Pflege übernahm eine Mitarbeiterin des Wittener Palliativnetzwerkes.
Der Bewohner starb am 1. Februar. Als Christel Tiemanns Lebensgefährte am 5. März erstmals wieder die Wohnung betrat, waren die Bilder weg. Christel Tiemann stellte die Pflegerin zur Rede, die ihr wörtlich gesagt habe: „Tut mir leid, die habe ich auf die Kippe gebracht.“ Leider sei daran nichts mehr zu ändern. Sie habe gedacht, die Bilder hätten dem Patienten gehört.
Ermittlungsverfahren eingestellt
Die Wittenerin, die den Kranken gepflegt hatte, bestätigte gegenüber dieser Zeitung, dass sie die Bilder „auf die Kippe“ gebracht habe. Sie verweist darauf, „dass ich mich bei Frau Tieman entschuldigt habe“.
Deren Lebensgefährte habe ihr damals gesagt, die Möbel und die Teppiche müssten bleiben, alles andere könne raus aus der Wohnung. Sie betont, dass „Frau Tiemann einen Wohnungsschlüssel hatte, sie hätte die Wohnung die ganze Zeit betreten können“. Sie habe die Wohnungsauflösung zudem nicht im Auftrag des Palliativnetzwerks, sondern „als Privatperson“ erledigt.
Im Übrigen verweist sie auf den Ausgang des Ermittlungsverfahrens. Die Staatsanwaltschaft hat es am 24. Juli eingestellt. Begründung: Die Beschuldigte sei bisher strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten; strafwürdiges Verhalten sei fraglich, ein mögliches Verschulden wäre, wenn überhaupt, als gering anzusehen. Letztlich handele es sich um einen zivilrechtlichen Streit. Christel Tiemann hatte gegen die Pflegerin wegen der Bilder Strafantrag gestellt – wegen Diebstahls bzw. Unterschlagung. Nicht nachzuvollziehen war für sie, warum etliche andere – in ihren Augen wertlose – Gegenstände des Verstorbenen nicht gleich mitentsorgt worden waren. Von einer möglichen Zivilklage auf Schadenersatz rät Tiemanns Anwalt ab. Nicht zuletzt sei der Wert der Bilder nicht mehr zu ermitteln. Für Christel Tiemann sind sie ohnehin unersetzlich.