Witten. . Wenn sie in Norddeich aufs Schiff steigt, spürt Hildegard Braun erstmals ihre Vorfreude. Norderney ist für die 65-Jährige eine zweite Heimat geworden - obwohl sie mit der Insel schlimme Kindheitserinnerungen verbindet.
Wenn sie in Norddeich aufs Schiff steigt, spürt Hildegard Braun erstmals ihre Vorfreude. Norderney ist für die 65-Jährige eine zweite Heimat geworden - obwohl sie mit der Insel schlimme Kindheitserinnerungen verbindet.
Die kleine Hildegard wurde mit ihrem Asthma als Fünf- oder Sechsjährige an die Nordsee geschickt - natürlich des Klimas wegen. Sie kam zur Kur ins Kindererholungsheim, wo sie todunglücklich war. „Ich konnte die Luft auf Norderney nicht gut vertragen, vielleicht hatte ich auch Heimweh.“
Und dann das Essen... „Es gab Unmengen. Am Ende saß ich allein da mit einer Milchsuppe und zwei großen Schnitten.“ Bis heute hat Hildegard Braun nicht vergessen, dass man ihr damals das Nikolauspäckchen verweigerte, das ihre Eltern geschickt hatten: So war das damals mit Kindern, die ihren Teller nicht leer essen wollten.
2003 erstmals wieder auf die Insel
Als Hildegard Braun groß war, dachte sie nicht mehr daran, nach Norderney zu fahren. Nicht allein der Milchsuppe wegen, sondern weil ihre kleine Rente für die teure Nordseeinsel nie und nimmer gereicht hätte. Krankheitsbedingt musste sie früh ihren Beruf als Kinderpflegerin an den Nagel hängen.
Als Glücksfall erwies sich viele Jahre später die Bekanntschaft mit einer Mitarbeiterin des Evangelischen Kirchenkreises Hattingen-Witten, die die Buchungen für das „Haus am Weststrand“ koordiniert, ein ehemaliges Kinderheim, das der Kirchenkreis 1973 als Erholungsstätte für seine Gemeindemitglieder erworben hatte. Sie heuerte die Bommeranerin als ehrenamtliche Helferin an. Weihnachten 2003 reiste Hildegard Braun, inzwischen Mitte 50, erstmals wieder auf die Insel.
Wer als Kind da war, kommt als Erwachsener zurück
Sie sollte im Speisesaal helfen und kam sich anfangs „ziemlich blöd vor“. Es gab so viel zu fragen: „Was kann ich machen, wo steht das?“ Am Ende, nach 14 Tagen, war sie ganz überrascht, als man sie fragte, ob sie nicht wiederkommen wolle, gerne auch für länger. So begannen 2004 ihre ersten sechs- bis achtwöchigen Aufenthalte, die sie inzwischen nicht mehr missen möchte.
Drei bis vier Stunden arbeitet die 65-Jährige täglich im „Haus am Weststrand“ mit, wo seit vielen Jahren etliche Familien, Gruppen aus den Gemeinden und Einzelreisende aus ganz Deutschland wunderschöne Urlaube verbringen. Sogar wer als Kind da war, kommt heute als Erwachsener zurück.
Ein „Geschenk Gottes“
Hildegard Braun frühstückt morgens um halb acht mit dem Personal, bevor sie beim Servieren hilft, Tische abräumt, die wieder fürs Mittagessen gedeckt werden wollen, oder Besteck poliert. „In der Küche haben wir nichts zu suchen, das machen die Hauptamtlichen.“ Wenn Not am Mann ist, hilft Hildegard Braun auch auf der Etage.
Gegen Viertel vor zwei hat sie Feierabend. Hildegard Braun mag die langen Spaziergänge am Strand, wandert dann gerne zur Weißen Düne oder zur Meierei. Der nächste Dienst beginnt erst wieder am Abend des nächsten Tages. „Man kann etwas Sinnvolles tun und hat noch Freizeit“, sagt die Ruhrstädterin, die vier-, fünfmal im Jahr nach Norderney fährt und mit freier Kost und Logis für ihre tägliche Arbeit belohnt wird.
Anfang Mai geht es wieder auf die Insel
Unter den vielen Ehrenamtlichen, die auch aus Nachbarstädten wie Hattingen und Sprockhövel kommen, hat sie Freunde gewonnen, auf der Insel pflegt sie mittlerweile sogar Kontakt zu Einheimischen. „Mir hätte nichts Besseres passieren können“, sagt die kleine Frau und spricht von einem „Geschenk Gottes“.
Anfang Mai kann Hildegard Braun schon wieder Koffer packen. Die Insel ruft, und, versprochen: Es gibt keine Milchsuppe mehr.