Witten. In Witten gucken Kinder in die Röhre. 16 Hangrutschen wurden aus Sicherheitsgründen abmontiert, aber nur wenige ersetzt. Woran liegt das?
Erinnern Sie sich noch an den „Hangrutschen-Eklat“ im Mai 2022? Die Stadt Witten hatte aus Sicherheitsgründen 16 große Rutschen auf Spielplätzen, in Kitas und auf Schulhöfen abmontiert. Während in fast allen Nachbarstädten die viel Spaß bringenden Spielgeräte weiter in Betrieb sind, schauen Kinder in Witten in die Röhre. Denn anders als angekündigt wurde nur ein Teil der Rutschen ersetzt. Es fehlt das Geld.
Rutschen-Dilemma traf viele Städte
Die Wittener Rutschen-Geschichte über Kinderspielplätze und typisch deutsche Bürokratie hat 2022 hohe Wellen geschlagen. Andere Städte sahen den schnellen Abbau als übertrieben an. Viele hatten ihre älteren Rutschenmodelle längst an die seit 2008 bekannte - und europaweit geltende - DIN-Norm angepasst oder ersetzt, andere (wie Dortmund oder Bochum) pochten auf Bestandsschutz.
Mittlerweile sind auch andere Städte in die DIN-Norm-Bredouille gerutscht, vor knapp einem Jahr musste zum Beispiel Gladbeck 18 seiner Hangrutschen sperren.
Der Fall hatte für viel Kopfschütteln gesorgt. Nachdem sich ein Kind an der Hangrutsche seiner Grundschule in Witten den Kopf gestoßen hatte, hatte die Gemeindeunfallversicherung diese überprüft. Dabei fiel auf: Die Rutsche erfüllte eine 14 Jahre alte DIN-Norm nicht, eine bauliche Anpassung war versäumt worden. Die Rutschen lagen unter anderem nicht ebenerdig auf, sodass Kinder darunter krabbeln und sich einklemmen können.
Daraufhin mahnte die Versicherung die Stadt ab, der Abbau aller Hangrutschen im Stadtgebiet erfolgte binnen weniger Tage. Das Skurrile: Weder Eltern noch Kita- oder Schulleitungen hatten die Hangrutschen je als Unfallschwerpunkt wahrgenommen. Nachbarstädte werteten die Entscheidung als übereifriges Absicherungsdenken.
Immerhin sollte es Ersatz geben. Drei Standorte bekamen „Bockrutschen“. Diese Rutschen mit Leiter findet man auf den Spielplätzen Noellestraße (Annen) und in Stockum an der Mittelstraße und der Kita Helfkamp. An der Kita Buchholz wurde ersatzweise eine Klettermöglichkeit am Hang aufgebaut. Der Spielplatz an der Fröbelstraße in Annen wurde mit einer Hausgruppe und Wippgeräten ausgestattet. Und der Rest? Die SPD hat sich nun in einer Anfrage an den Bürgermeister über den aktuellen Stand in Sachen Rutschenersatz informieren lassen - und reagiert empört.
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„An allen betroffenen Standorten war eigentlich zügig mit einem attraktiven Ersatz zu rechnen gewesen. Dafür standen im letzten Jahr 975.000 Euro zur Verfügung“, so SPD-Ratsherr Michael Aufermann. Nach Auskunft des Bürgermeisters sei das Geld jedoch „in weiten Teilen“ aufgrund der Haushaltssperre für Investitionsmittel nicht ausgegeben worden. „Es ist nicht gut, dass die Finanzprobleme der Stadt zu Lasten der Kinder gehen“, kritisiert der Genosse.
Schulleiterin in Herbede: „Als hätte es nie eine Rutsche gegeben“
Tatsächlich herrscht seit dem Abbau der Hangrutsche etwa an der Herbeder Grundschule „ gähnende Leere“, wie Schulleiterin Sabine Bender sagt. „So als hätte es nie eine Rutsche gegeben.“ Der Hang ist längst bewachsen, die Gummimatten liegen noch auf dem Boden. „Jedes Spielgerät, das abgebaut wird, fehlt“, sagt die Rektorin, gerade eins, das zur Bewegung anleite.
Keinen Ersatz gibt es bisher auch an der Brenschenschule in Bommern, der Hevener Dorfschule und an der Kita Durchholz. Laut SPD wurden wegen fehlender Finanzmittel auch zugesagte Projekte wie eine Hangsicherung am Imberg oder ein Fallschutz am Klettergerät der Hüllbergschule nicht umgesetzt. Der Spielplatz am Pestalozziplatz soll eine Röhrenrutsche bekommen. Seit bald zwei Jahren haben Kinder dort nur noch einen Sandkasten vor dem mit Kantsteinen abgestützten Hang.
„Die Maßnahmen sollten 2023 in einem Rutsch umgesetzt werden“, erklärt Stadtsprecherin Lena Kücük. Ein neuer Kollege, der zur Jahresmitte 2023 im Jugendamt neu angefangen hat, sollte die Projekte ihren Angaben zufolge realisieren. Aber: Kurz danach galt schon die Haushaltssperre. Kücük: „Das heißt, die verbleibenden Projekte sind im Haushalt angemeldet, können aber erst umgesetzt werden, wenn der Haushalt beschlossen und genehmigt ist.“
In der Wittener Politik rechnet man damit, dass der neue Etat erst im Frühjahr verabschiedet wird, also nach Start der Spielplatzsaison. Die SPD fordert: Dann müsse der Aufbau der Spielgeräte für die Kinder Vorrang haben. Übrigens: eine normgerechte und TÜV-geprüfte Hangrutsche besitzt Witten inzwischen auch, auf dem noch relativ neuen Spielplatz an der Dirschauer Straße. Sie wurde allerdings vor dem „Rutschen-Eklat“ für die neugestaltete Fläche eingeplant.
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