Witten. Elaine Cappus hat das Experiment gewagt, sie ist den Jakobsweg durch Portugal gepilgert. Wieso die Wittenerin dabei an ihre Grenzen gekommen ist.
Lissabon schläft noch, als ich am frühen Morgen das Hostel verlasse. In meiner Wandermontur stapfe ich mit meinem Rucksack auf den Schultern durch die Großstadt, in Richtung der Kathedrale. Denn dort beginnt der 640 Kilometer lange Jakobsweg „Caminho Portugues“. Der Weg führt von Lissabon bis nach Santiago de Compostela, dem Wallfahrtsort, der jährlich fast eine halbe Millionen Pilgerinnen und Pilger anzieht. Mein Plan ist es, innerhalb von zwei Wochen bis nach Porto zu pilgern, um den Weg dort im nächsten Jahr fortzusetzen.
Seitdem ich vor fünf Jahren über 900 Kilometer auf dem Camino del Norte entlang der wunderschönen Nordküste Spaniens bis nach Santiago gepilgert bin, wusste ich, dass ich eines Tages zurückkehre. Damals fühlte ich mich mit jedem Schritt befreiter und gelassener. Ob man Gott sucht, Sehnsucht nach Stille und Natur hat, sich selbst finden oder einen Schicksalsschlag verarbeiten will – der Jakobsweg kann helfen.
Wittenerin hat die Strapazen des Wanderwegs unterschätzt
Schon die erste Etappe ist für mich jedoch eher Qual als Vergnügen. Es geht von Lissabon bis nach Vila Franca de Xira, bei 30 Grad in der prallen Sonne, durch Vororte und Industriegebiete. Die Hitze und die 16 Kilo auf meinen Schultern setzen mir mehr zu als gedacht. Als ich mich nach 35 Kilometern auch noch verlaufe, stelle ich mir die Frage, warum ich mir diese Tortur überhaupt antue.
Zum Glück treffe ich eine Pilgerin aus Mailand, die zum gleichen Hostel wie ich möchte. Wir verbringen den Rest des Weges damit, in einem wilden Mix aus Französisch, Italienisch und Zeichensprache über alles mögliche zu sprechen, um die dröge Strecke zu überstehen. Nach einer gefühlten Ewigkeit erreichen wir die Pilgerherberge.
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Als ich am nächsten Morgen aufstehe, spüre ich die 44 Kilometer der ersten Etappe in jeder Faser meines Körpers. Das ist nichts, was mir als Sportlerin unbekannt ist. Doch die ersten Blasen an meinen Füßen bereiten mir Sorgen.
Elaine Cappus lebt auf ihrer Reise in spartanischen Unterkünften
Mein nächstes Tagesziel ist Azambuja, ein kleines Dorf, irgendwo in der portugiesischen Pampa. Auch diese Etappe ist zugegebenermaßen wenig idyllisch. Fast die gesamte Strecke verläuft auf einem schnurgeraden Schotterweg, auf den erbarmungslos die Sonne knallt. Ich versuche es mit positivem Denken: Wenigstens geht es dieses Mal nicht kilometerlang an befahrenen Straßen vorbei.
Die Herberge ist spartanisch, so wie sich das auf dem Jakobsweg gehört. Zehn Stockbetten in einem Raum, eine Dusche für 20 Leute. Dafür kostet die Unterkunft nur zehn Euro – auf dem Jakobsweg mittlerweile eine Rarität, denn auch pilgern wird teurer.
Der Abend im Garten der Herberge ist gesellig. Alle kaufen etwas zu essen im Supermarkt, zu trinken gibt es Wein aus Plastikbechern. Später schnarchen Menschen aus aller Welt, aus Neuseeland, Kanada, England, Italien, Malaysia, Portugal und Deutschland, um die Wette. Ohropax sind auf dem Jakobsweg ein absolutes Muss.
Cappus will aus den schlechten Erfahrungen lernen – und wiederkommen
Am vierten Tag schmerzen die Blasen bei jedem Schritt. Ich humple ins nächste Kaff und setze mich auf eine Bank im Schatten – Krisensitzung. Als ich meine Füße näher begutachte fällt mir auf, dass der Nagel meines kleinen linken Zehs dabei ist, sich abzulösen. Mich beschleicht das Gefühl, dass ich wohl zu denen gehören werde, über die ich mich vor fünf Jahren auf meinem ersten Weg so gewundert habe: Diejenigen, die abbrechen.
Die Routen der Jakobswege
Das Netz der Jakobswege erstreckt sich über ganz Europa. Auch in Deutschland gibt es Wanderrouten, die als Jakobswege ausgewiesen sind.
Der beliebteste Jakobsweg ist der 800 Kilometer lange Camino Francés, für den sich zwei Drittel aller Pilger entscheiden. Immer beliebter wird auch der kurze Caminho Portugues, der in der Hafenstadt Porto beginnt und 270 Kilometer entlang der Küste über die spanische Grenze bis nach Santiago führt.
Wer mehr Höhenmeter zurücklegen möchte, ist auf dem Camino del Norte gut aufgehoben. Der Weg verläuft entlang der Nordküste Spaniens.
Die Erfahrungen des Jakobswegs dürfen als Metaphern des Lebens stehen – mal läuft es, mal läuft es eben nicht. Wenig später sitze ich am kleinen Dorf-Bahnhof und nehme den Zug, um zur nächsten Etappe zu kommen. Denn so ganz geschlagen gebe ich mich noch nicht. Und so wandere ich zwei weitere Tage, um an den letzten freien Stellen meiner Füße auch noch Blasen zu bekommen.
Ich will niemanden abschrecken. Ein leichterer Rucksack, intakte Wanderschuhe, Socken aus Merinowolle, kühlere Temperaturen und kürzere Etappen hätten mir eine bessere Zeit beschert. Der Jakobsweg ist wie das Leben. Er ist unberechenbar, anstrengend, magisch und wunderschön. Er ist das, was man aus ihm macht. Und er ruft mich, immer wieder.