Ukraine-Krieg: Menschenkette durch Johanniskirche in Witten
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Witten. Mit einer Friedensandacht haben viele Wittener ihre Solidarität mit der Ukraine gezeigt. Bei dem Gedenken in der Johanniskirche flossen Tränen.
Vor gut einem Jahr startete Russland seinen Angriffskrieg auf die Ukraine, und Europa reagierte geschockt. Um bei einer Friedensandacht dieser Hilflosigkeit mit Solidarität zu begegnen, haben sich in Witten am Sonntagabend (26. 2.) etwa 150 Menschen in der Johanniskirche an der Bonhoefferstraße versammelt. Die Veranstaltung organisiert haben die evangelische Kirchengemeinde und der deutsch-ukrainisch-weißrussische Verein „Europa grenzenlos“.
Vor Beginn der Andacht warten einige Leute vor dem Eingang der Johanniskirche. Nataliya Koshel, Vorsitzende des Kulturvereins „Wolja“, begrüßt Bekannte und Freunde, man schließt sich in die Arme, lachen kann an diesem Tag niemand. „Gerade fällt die Zuversicht schwer. Um Ostern herum wird es wieder besser“, sagt die Aktivistin, bevor sie die Kirche betritt. Drinnen ist es still, in den hohen Fenstern flackern Kerzen und werfen ein warmes Licht an die Decke. Die Stimmung ist allerdings eher gedrückt als warm.
Lange Menschenkette durch die Kirche
Presbyter Sigurd Hebenstreit tritt ans Rednerpult und eröffnet die Veranstaltung gemeinsam mit Alla Vaysband, Vorsitzende des Vereins „Europa grenzenlos“. „Wir wollen der Hoffnungslosigkeit mit Zuversicht begegnen, auch wenn eine Perspektive aktuell schwer zu sehen ist“, sagt Sigurd Hebenstreit, bevor ihn Pfarrer Günther Krüger ablöst, der an diesem Abend die Friedensandacht begleitet. „Wenn wir heute an den Krieg Russlands gegen die Ukraine gedenken, so denken wir an die unzähligen Kriegsopfer, an die, die um ihre im Krieg getöteten Angehörigen trauern, und all jene, die um ihr Leben fürchten und traumatisiert sind“, sagt der 67-Jährige. Die Lieder, die während der Andacht anklingen, handeln vom Wunsch nach Frieden und von Hoffnung. Beim Segen nehmen sich alle in der Kirche an die Hand, auch über die Gänge hinweg, bis sich eine lange Menschenkette gebildet hat.
Etel Ehnenberg tritt nach vorne. Die klare, hohe Stimme der jungen Ukrainerin und die Klänge des Klaviers, gespielt von Natalia Lebedeva, hüllen die Kirche in eine melancholische Stimmung. Viele weinen. Ukrainerinnen lesen Texte und Gedichte vor, die nach Kriegsbeginn entstanden sind.
Ukrainerin ringt um Fassung
Marina Kuzhel, die aus der Nähe von Kiew nach Witten geflohen ist, liest aus ihrem selbst geschriebenen Bericht „Wie mir Dinge passiert sind, von denen ich sagte, dass sie in meinem Leben nie passieren würden“. Die Autorin spricht Ukrainisch, die deutsche Übersetzung wird auf eine Leinwand neben dem Rednerpult geworfen. Der Text handelt von Marina Kuzhels Lebensregeln, an denen sie stets festhielt, bis zum Tag, als der Krieg ausbrach. Nie wollte sie mit ihren Eltern oder den Eltern ihres Mannes zusammenwohnen. Doch am 24. Februar 2022 brachte sie als Erstes die Eltern aus ihren Kiewer Wohnungen in das eigene Haus in der Vorstadt, weil es dort Treibstoff, Lebensmittel, Wasser, und am wichtigsten, einen Keller gab.
Nie habe sie Waffen in ihrem Haus aufbewahren wollen – doch am zweiten Tag des Krieges schlossen sich ihr Mann und ihr Sohn der Terroristenabwehr an und lagerten zwangsläufig Waffen im Haus. Marina Kuzhel wollte nie ihre Heimat verlassen. Vor allem aber habe sie nie gedacht, dass sie einmal einem ganzen Land – Deutschland – dankbar sein würde. An dieser Stelle hört Marina Kuzhel auf, zu lesen, weil sie um Fassung ringt. Tränen laufen ihr über die Wangen, als sie ihren Text mit einer letzten Frage abschließt: „Was muss ich und was müssen wir alle tun, damit so etwas nie wieder passiert?“
Hier finden Sie eine Fotostrecke von der Friedensandacht:
Rund einhundert Menschen kamen am Sonntag zur Andacht
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