Witten. Die Lützerath-Räumung ist eine Zerreißprobe für die Grünen. Wie sich Wittener Politiker positionieren – und warum sie vor Ort protestiert haben.

Noch immer schaut Deutschland gebannt auf Lützerath. Am Schicksal des kleinen Dörfchens, das dem Braunkohletagebau Garzweiler II von RWE weichen soll bzw. wird, scheiden sich die Geister. Eine Zerreißprobe ist der Umgang mit der Causa Lützerath vor allem für die Grünen. Auch in Witten wird der von der NRW-Regierung ausgehandelte Kompromiss unterschiedlich bewertet. Wie sich die Wittener Grünen positionieren und warum viele von ihnen am Samstag zur Großdemo bei Lützerath gefahren sind.

Auch in der Ruhrstadt würden sich Mitglieder schwer tun mit dem Kompromiss zwischen Landesregierung und RWE, sagt Leander Holtz vom Vorstand des Grünen-Ortsverbandes. Unter den gegebenen Umständen sei es aber wohl das, was rauszuholen war. Lützerath sei schon zu Beginn ein „abgeurteiltes Dorf“, die rechtliche Lage klar gewesen. „Wir mussten RWE etwas abverhandeln“, erinnert er. Auch wenn es für den Klimaschutz nicht genug sei.

Tausende Menschen kamen zur Kundgebung nahe Lützerath.
Tausende Menschen kamen zur Kundgebung nahe Lützerath. © Ralf Schulz | Ralf Schulz

Kohle soll in der Erde bleiben

Der 21-Jährige war am Samstag selbst vor Ort „um ein Zeichen zu setzen, dass es so nicht weitergehen kann“. Entscheidend für ihn ist „die Kohle darunter, nicht was drauf steht“, sprich Lützerath. Er richtet den Blick nach vorne. Wichtig sei es nun Maßnahmen zu ergreifen, damit der Großteil der Kohle da bleibe, wo er momentan ist.

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So oder so ähnlich sehen es auch andere Wittener Grüne. „Das war für mich keine Demo gegen grüne Minister, sondern dafür, dass die Kohle unter der Erde bleibt“, sagt Andreas Müller, Wittens Fahrradbotschafter und grünes Kreistagsmitglied. Die Kohle unter Lützerath, hat er sich ausgerechnet, werde 81 mal so viel CO2 emittieren, wie es die Flugzeuge, die zwischen Düsseldorf und Palma de Mallorca hin- und herfliegen, pro Jahr tun. Dass man auf die Vorkommen unter dem mittlerweile abgerissenen Dorf verzichten könnte, davon ist er überzeugt.

Grüne mussten auch viel Kritik einstecken

„Es gibt keinen Bedarf an der Kohle unter Lützerath. Und selbst wenn sie gebraucht würde, dürften wir sie trotzdem nicht verbrennen“, sagt auch Grünen Ratsmitglied Ralf Schulz – wenn man die 1,5 Grad-Marke nicht reißen wolle. Auch er war am Samstag vor Ort. Dass Grüne dort teils von Rednern als Verräter betitelt worden seien, sei für ihn „ein Schlag“ gewesen. Auch wenn ihm schon im Voraus bewusst war, dass er dort Kritik einstecken werde müssen. „Aber wir haben 20 Prozent der Stimmen. Da können wir nicht 100 Prozent Klimaschutz betreiben.“ Es sei unter den gegebenen Bedingungen das „maximal Verhandelbare“ gewesen.

Lilo Dannert hingegen hätte Lützerath gerne gerettet gesehen. „Für mich ist das eine Marke, die aus emotionalen Gründen nicht hätte fallen dürfen“, sagt die Ratsfrau. Die Grünen hätten sich dafür mehr einsetzen müssen. Die Wittener Politiker, die vor Ort waren, haben die Demonstration alle als friedlich erlebt. Sie hielten sich aber auch im Hauptfeld der Kundgebung auf. „Das war eine harmlose Sache, etwa im Vergleich zu Brokdorf“, erinnert sich der 70-jährige Müller. Überhaupt sei es eine „ganz friedliche Generation, die jetzt demonstriert.“

So erlebte eine Aktivistin die Demonstration

So sieht es auch eine Aktivistin aus Witten, die seit vergangenen Mittwoch im Ausweich-Camp in Keyenberg campiert hat. Sie spricht von Aggression seitens der Polizei am Rande der Großdemonstration. „Es gab die Anweisung zu gehen, das ging nicht schnell genug, jetzt haben wir blaue Flecken“, fasst die 18-Jährige zusammen. Gemeinsam mit anderen hatte sie sich von der Hauptdemo entfernt und war Richtung Dorf gelaufen.

„Unsere Träume lassen sich nicht räumen“ steht auf dem Transparent auf dem gestreiften Zelt. Die Lützerath-Aktivisten haben sich in ein Camp in Keyenberg bei Erkelenz zurückgezogen.
„Unsere Träume lassen sich nicht räumen“ steht auf dem Transparent auf dem gestreiften Zelt. Die Lützerath-Aktivisten haben sich in ein Camp in Keyenberg bei Erkelenz zurückgezogen. © FUNKE Foto Services | Bernd Thissen

Als die Dämmerung hereinbrach, habe die Polizei die Menschen zurückgedrängt. „Dann haben sie geschlagen und getreten, ‘schneller’ gerufen.“ Die Demonstrierenden selbst hätten sich nach ihrer Aussage bis dahin friedlich verhalten, Lieder gesungen, Sprüche gerufen. Viele seien unvorbereitet gewesen, über den Acker gestolpert, hätten Angst bekommen.

Ein Freund, der direkt neben ihr in vorderster Reihe der Menschenkette stand, habe einen so heftigen Schlag ins Gesicht bekommen, dass sie sich danach zurückziehen mussten. Wie das gelang, weiß sie selbst nicht mehr, sie sei voller Adrenalin gewesen, die Situation habe sehr einschüchternd gewirkt. NRW-Innenminister Reul hingegen hat den Polizeieinsatz in Lützerath verteidigt. Man müsse die Vorkommnisse nun prüfen.

Bereits am Dienstag macht sich die 18-Jährige wieder auf Richtung Lützerath. Denn für den 17.1. hat ein Bündnis aus Gruppen von Fridays For Future über Letzte Generation bis Alle Dörfer Bleiben zu einem Aktionstag aufgerufen. Und sie habe sich darauf eingestellt „noch ein paar Tage zu bleiben“. Was sie dazu bewegt? „Ich habe Angst um meine persönliche Zukunft.“