Witten. Alle Ausschüsse im Wittener Rat müssen neu besetzt werden, nachdem mehrere Politiker die Fraktion gewechselt haben. Eine Partei profitiert dabei.
Ein kleiner handgeschriebener Zettel hat große Auswirkungen auf die politische Landschaft in Witten. „Sehr geehrter Herr Bürgermeister, als Fraktionsvorsitzender beantrage ich die Neubesetzung und Stimmrechtsvergabe für die Ausschüsse im Rat. Mit freundlichen Grüßen, Michael Hasenkamp“, steht dort. Verlierer dieser Neusortierung mitten in der Wahlperiode werden die Piraten sein. Gewinner ist – wer hätte das gedacht – Hasenkamps Partei „Stadtklima“.
Erstmalig in der Wittener Nachkriegsgeschichte, so Wahlamtsleiter Michael Muhr, gibt es eine Neuverteilung der Stimmrechte in allen Ausschüssen. Normalerweise wird nach einer Kommunalwahl festgelegt, welche Ratsmitglieder wo sitzen und abstimmen dürfen. Seitdem Lars König 2020 zum Bürgermeister gewählt wurde, hat sich im Stadtparlament personell aber einiges getan. Mehrere Ratsmitglieder haben ihre Partei, für die sie eigentlich gewählt wurden, verlassen und sind mitsamt ihres Mandats zur Konkurrenz abgewandert, weshalb nun neu sortiert werden muss.
Wittener „Stadtklima“ inzwischen mit drei Ratsmandaten
Michael Hasenkamp hatte mit seiner Partei „Stadtklima“ nur ein Ratsmandat gewonnen. Kurz nach der Wahl stieß Andreas Günzel von „Witten Direkt“ zu ihm. Ein drittes Ratsmandat brachte Patrick Bodden im November 2021 mit, der für Stadtklima die Piraten sitzen ließ.
Auch die SPD verlor ein Ratsmitglied, als Günter Schröer im Juli zur Oppositionspartei Bürgerforum plus wechselte. Immerhin: Obwohl die Fraktion von 16 auf 15 Personen schrumpfte, haben die Genossen keinen ihrer Sitze in den Ratsgremien, sprich Fachausschüssen, verloren. Anders als die Piraten.
Mit der Neubesetzung der Ausschüsse kommt ihnen zum Beispiel das Stimmrecht im Haupt- und Finanzausschuss (HFA) abhanden. Damit hat die Zwei-Personen-Fraktion weniger Möglichkeiten, das Stadtgeschehen mitzugestalten. Den wichtigen Sitz im HFA erhält nun Stadtklima. Inhaltlich ist das ein großer Schwenk, von den eher linksorientierten Piraten zur konservativen Hasenkamp-Fraktion.
Tiefe Gräben zwischen den Parteien
Mandatsverlust gleich Geldverlust
Finanzielle Auswirkungen hat die Neubesetzung der Ausschüsse nicht – abgesehen vom Arbeitsaufwand für die Verwaltung. Für die Parteien dagegen machen Fraktionswechsel auch einen finanziellen Unterschied.
Neben Räumen und Büroausstattung bekommt jede Fraktion Zuwendungen aus dem städtischen Haushalt, die abhängig von der Personenstärke sind. Laut Haushaltplan gibt es als Sachkosten einen Sockelbetrag von 2000 € jährlich und für jedes der Fraktion angehörende Ratsmitglied pauschal jährlich 900 €. Zusätzlich gibt es einen Pauschbetrag als Personalkostenzuwendung. Bei kleinen Fraktionen sind es 3750 € pro Ratsmitglied und Jahr, bei großen 3200 € pro Mitglied und Jahr.
Die SPD musste mit dem Weggang von Günter Schröer auch auf Zuwendungen für einen zweiten stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden verzichten. Dafür ist sie mit nun 15 Mitgliedern zu klein.
Dass sich Lokalpolitiker auf die „Freiheit des Mandats“ berufen und ihre Stimme für eine andere Partei abgeben, gibt es in Witten nicht zum ersten Mal. Anfang 2016 verließ der damalige SPD-Fraktionsvorsitzende Thomas Richter seine Partei und gründete mit zwei weiteren Genossen die Fraktion „Solidarität für Witten“. Auch da hätte man laut Gemeindeverordnung und einem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster eigentlich die Ausschüsse neu besetzen müssen.
„Aber die beiden Fraktionen hatten sich geeinigt, kein Riesenfass aufzumachen“, erinnert sich Michael Muhr. Nun aber seien die Gräben zwischen den Parteien offenbar zu tief. Nach dem Antrag Michael Hasenkamps muss nun der Rat in seiner nächsten Sitzung am Montag (14.11.) die Neubesetzung einstimmig beschließen.
Nicht nur in Witten kommt es immer wieder zur Mandatsmitnahme
Die Mandatsmitnahme sei zwar ein relativ neues Phänomen, komme aber in vielen deutschen Kommunen vor, hat Michael Muhr festgestellt. Insbesondere bei kleineren Parteien oder Bürgerinitiativen passiere es häufiger, dass jemand „sich umorientiert und den Bürgerwillen an anderer Stelle ausleben möchte“. Und was für Witten wie bundesweit gilt: „Die Parteienbindung ist nicht mehr so groß wie sie einst war.“