Witten. Trotz gesundheitlicher Beschwerden sind Menschen ab 60 meist glücklicher als Jüngere. Warum das so ist, erklärt ein Wittener Professor.

Trotz körperlicher Beschwerden und chronischer Krankheiten sind ältere Menschen in der Regel glücklicher und zufriedener als Jugendliche oder junge Erwachsene. Zu diesem Ergebnis kommt Medizin-Professor Tobias Esch von der Universität Witten/Herdecke.

Esch, der das Institut für Integrative Gesundheitsversorgung und Gesundheitsförderung an der Uni Witten leitet, hat sich mit seinen Büchern und Forschungen bundesweit einen Namen als „Glücksprofessor“ gemacht. Jetzt konnte er nachweisen: Die Lebenszufriedenheit älterer Menschen ist biologisch bedingt, kann aber dennoch „erlernt“ werden. Im renommierten Biologie-Journal „Biology“ hat der Mediziner ein „Grundsatzpapier“ veröffentlicht. Dieses fasst die Ergebnisse seiner fast 20-jährigen Forschungen zum Belohnungssystem des Gehirns sowie zum Glückserleben zusammen. Das Ergebnis ist das sogenannte „ABC-Modell“ des Glücks.

Mediziner: Junge Erwachsene erleben beanspruchenden Stress

Viele Ältere sind zufrieden und glücklich, sagt der Wittener Wissenschaftler Prof. Tobias Esch.
Viele Ältere sind zufrieden und glücklich, sagt der Wittener Wissenschaftler Prof. Tobias Esch. © dpa | Christin Klose

„Das Glück ändert seine ,Farbe‘ im Laufe des Lebens“, fasst Esch die Ergebnisse seiner Forschung zusammen. „In unserer Jugend suchen wir Vergnügen und Nervenkitzel, sind kreativ, risikofreudig und lernbegierig.“ Glück sei in diesem Lebensabschnitt geprägt durch Vorfreude, Lust und Ekstase. In einem neuen Lebensabschnitt, der „Phase B“, folge die sogenannte „Bedrohungsvermeidung“. Die meisten Menschen erlebten in dieser Zeit beanspruchenden Stress - etwa durch berufliche Herausforderungen oder als Eltern. „In diesem Zeitraum sinkt meist die Zufriedenheit“, so Esch.

„Wir sind bereit, uns den Herausforderungen und Schwierigkeiten zu stellen, um unser Leben und das unserer Familie zu schützen.“ Glück in dieser Phase sei dann eher ein Gefühl der Erleichterung, „wenn Stress und ‚Unglück‘ eine Pause einlegen“.

Wittener Forscher: Menschen ab 60 brauchen meist wenig, um zufrieden zu sein

Im Alter von ungefähr 60 Jahren aufwärts, statistisch sogar bis über das 80. Lebensjahr hinaus, brauchen die Menschen dann trotz körperlicher Beschwerden meist wenig, um zufrieden zu sein, hat der Wittener Forscher herausgefunden. „Der spätere Lebensabschnitt ist meist der Punkt, an dem die Euphorie und Stressvermeidung übergehen in ein tiefes, beruhigendes und dauerhaftes Gefühl von Glück und Zufriedenheit.“

Wenn sich Krankheiten mehren, nimmt die Lebenszufriedenheit ab

Sachbücher landeten auf den Bestsellerlisten

Professor Dr. med. Tobias Esch ist Neurowissenschaftler, Gesundheitsforscher und Allgemeinmediziner. Seit 2016 ist er Institutsleiter und Professor für Integrative Gesundheitsversorgung und Gesundheitsförderung an der Universität Witten/Herdecke.

Dort gründete Esch auch die Universitätsambulanz. Seine Sachbücher wie etwa „Der Selbstheilungscode“ und „Die Bessere Hälfte“ (zusammen mit Dr. med. Eckart von Hirschhausen) wurden mehrfach ausgezeichnet und erreichten Spitzenplätze auf den Bestsellerlisten.

Es scheine so, „als würden wir im Laufe des Lebens immer besser darin, zufrieden und glücklich zu sein“, sagt der Gründer der Wittener Universitätsambulanz. Erst im sogenannten „vierten Alter“, wenige Jahre vor dem Tod, nehme die Lebenszufriedenheit statistisch gesehen wieder ab - etwa durch „die Verdichtung von Krankheiten“.

Dennoch sei dieser Verlauf des Glücksempfindens nicht vollständig vorbestimmt, betont Esch. „Meditations- und Achtsamkeitstechniken sowie Religiosität und Glaube scheinen beispielsweise den Verlauf des Glücks über die Zeit beeinflussen zu können.“ Glück könne durch Übung geformt werden.